Die rätselhafte Reise des Oscar Ogilvie
sagte er. »Aber es ist … es ist ganz vollgekritzelt.«
»Das sind die Eselsbrücken«, erklärte ich ihm. »Du notierst dir Schlüsselwörter. Du merkst sie dir. Dann geht es so leicht wie ›Hänschen klein‹. Ich werd es dir erklären.«
Wir ackerten uns durch die ganze Pralinenschachtel und durch das ganze Gedicht. Am Ende schüttelte Cyril meine nadellose Hand und grinste.
»Gute Arbeit, Ogilvie«, sagte er. »Jedenfalls wird es verhindern, dass ich auf die Militärschule muss.«
Mein Dad kam mit dem Nachtzug nach Hause. Er nahm sich ein Taxi zum Krankenhaus, obwohl Tante Carmen gesagt hatte, er solle auf den Bus warten. Er war von der kalifornischen Sonne braun gebrannt und hatte die aufgesprungenen Hände eines Obstpflückers. Er strahlte wie ein Weihnachtsbaum.
»Dad!«, rief ich. »Ich kann dich nicht umarmen wegen meiner Rippen und meiner Nadel!«
»Oscar!«, jubelte Dad. »Du bist wohlauf! Ich hab gedacht, du bist tot!«
»Dad!«, sagte ich staunend. Er war wieder derVater, den ich gekannt hatte, nicht alt und müde. Ich sprudelte heraus: »Dein Haar! Es ist wieder da!«
Verwirrt fuhr Dad sich mit den Fingern durch sein dichtes Haar. »Oscar?« Er griff nach meinen Schmerztabletten und betrachtete sie prüfend. »Was ist in diesen Pillen drin?«
Dad blieb bei mir und schlief in einem Sessel neben meinem Bett, bis ich entlassen wurde. Montag früh gingen wir zur Bank und lösten den Scheck von Mr Pettishanks ein.
»Werden Sie das alte Haus zurückkaufen, Ogilvie?«, wollte Mr Pettishanks wissen.
»Ich glaube nicht«, sagte mein Dad. »Schätze, Oscar und ich werden eine Orangenranch in Kalifornien kaufen.«
»Sir«, warf ich ein, »darf ich Sie etwas fragen?«
Mr Pettishanks lächelte sein trockenes Lächeln. »Schieß los, Junge.«
»Am Abend des Bankeinbruchs, war da nicht … war da nicht ein Nachtwächter namens Applegate in der Bank?«
Mr Pettishanks runzelte die Stirn. »Applegate? Nie gehört. Der Nachtwächter hieß George Perkins und er hat sich die ganze Zeit im Waschraum imKeller versteckt. Ich hab ihn gefeuert! Viel Glück, Kamerad«, sagte Mr Pettishanks und reichte meinem Dad eine Macanudo.
Wir ließen den Scheck über zehntausend Dollar Dads Bankkonto gutschreiben. Dann gingen wir als Erstes zum Autohändler und kauften für Tante Carmen einen neuen Buick, sodass sie mit dem Auto zu ihren Arbeitgebern fahren konnte. Danach riefen wir die Telefongesellschaft an und bestellten ein Telefon für ihre Diele.
»Du vergeudest schon wieder Geld, Oscar!«, schimpfte Tante Carmen, aber sie schimpfte mit ein wenig Frühling in ihren winterblauen Augen.
»Ein Auto ist ein Klacks im Vergleich zu einer Orangenranch in Kalifornien«, sagte Dad. »Was das Telefon betrifft, Oscar und ich werden dich jeden Sonntagabend aus Kalifornien anrufen und mit dir plaudern!«
Wir zogen zu Tante Carmen und Willa Sue, bis der Bungalow auf der Red Star Ranch in El Segundo, Kalifornien, für uns gebaut war.
An dem Nachmittag, als das Telefon bei Tante Carmen installiert wurde, wartete ich, bis ich allein war. Ich schaute im nagelneuen Telefonbuch nach,das mit dem Telefonapparat geliefert worden war, fand die Nummer, die ich gesucht hatte, und rief dort an.
»Christliches Männerwohnheim, Cairo«, antwortete eine gelangweilte Stimme. »Guten Tag.«
»Könnten Sie mir sagen, ob bei Ihnen ein Harold Applegate wohnt?«, fragte ich.
»Äh … warte«, sagte die Stimme. Dann nach einer Weile: »Nein … Armon, Angleweiss, aber keine Applegates.«
»Können Sie mir vielleicht sagen, wann er ausgezogen ist?«, fragte ich.
»Was denkst du dir, Junge. Bei uns kommen und gehen ’ne Menge Männer. Ich kann mir nicht alle merken. Die Unterlagen sind im Archiv im Hauptbüro.«
»Vielleicht hat er eine Adresse hinterlassen, wo er hingezogen ist. Ich bin sein Neffe und suche ihn dringend. Wäre es Ihnen möglich, sich zu erkundigen?«
Die Telefonleitung schien tot zu sein. Hatte der Mann aufgelegt? Fünf Minuten vergingen, dann kam die Stimme wieder aus dem Hörer. »Ja. Er hat sein Zimmer bis 21 . November letzten Jahres bezahlt.Keine Adresse hinterlassen. Aber er hat sowieso keine Post bekommen. Das ist alles, was ich weiß, Junge. Mach’s gut.«
Dad und ich bestellten alle Lionel-Züge, die wir zuvor gehabt hatten. Wir bauten in Tante Carmens Keller eine provisorische Anlage auf.
»Wir werden bald alles nach El Segundo schicken, Oscar«, versprach Dad. »Wir werden die beste Modelleisenbahn haben, die
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