Die Rebellin von Leiland 1: Maske (German Edition)
Alarmbereitschaft. Er ging geradeaus und fühlte sich unbehaglich bei dem Gedanken, seine Orientierung zu verlieren. Faulig riechende Schwaden breiteten sich in der Luft aus und bestätigten ihm, dass er die Versteinerten Berge wirklich überschritten hatte.
Die Steine wurden seltener, und das Erdreich trat zutage. Der Boden und die Luft wurden immer feuchter und der scheußliche Geruch durchdringender. Fliegen surrten herum. Obwohl er sich angestrengt konzentrierte, erkannte Andin nur die Schatten einiger Felsen im Nebel. Eine Ebene schien sich vor ihm zu erstrecken, oder vielleicht gar ein Sumpf. Seine Zweifel verflogen, als seine Stiefel in den Schlamm einsanken. Als er sie reflexartig herauszog, vervielfachte sich der Verwesungsgeruch.
»Gottheiten! Ich verstehe, warum niemand durch dieses Gebiet reisen will!«, hustete Andin.
Nis schnaubte zustimmend und wandte den Kopf, um in die entgegengesetzte Richtung davonzulaufen, aber ihr Herr hielt sie zurück. Er war weit davon entfernt, die Risiken abschätzen zu können, die sie beide eingehen würden. Doch er hatte diesen ganzen Weg nicht völlig umsonst hinter sich gebracht! Er versuchte, den Argwohn zu verbergen, den dieser Ort ihm einflößte, und strich mit einer Hand aufmunternd über den Hals seiner Stute.
»Hast du wirklich Lust, in die Stürme zurückzukehren? Wir sind fast da! Leiland ist ganz nah! Es ist höchstens noch eine halbe Tagesreise … Muss ich dir versprechen, dich danach gut zu striegeln? Los, meine Schöne, komm schon!«
Er zog am Zügel und drang in den Nebel vor. Nis gab widerwillig nach. Die Fliegen begannen schon, sie zu piesacken. Ein Schauer der Unsicherheit und des Abscheus lief ihr die Wirbelsäule entlang. Der Schlamm war klebrig und tief; bald stapften sie durch einen echten Sumpf, in dem es unmöglich war, mehr als zehn Schritt weit zu sehen. Andin mochte sich noch so sehr bemühen, sorgfältig dem Treibsand auszuweichen – bald steckte er bis an die Waden im Schlamm fest.
»Zurück, Nis. Sachte … sachte …«
Wie ein Blutegel seine Beute, so ließ auch der Schlamm die Stiefel des jungen Mannes nicht wieder los. Die Bewegungen, die er machte, um sich zu befreien, brachten ihn am Ende aus dem Gleichgewicht. Bevor er sich fangen konnte, fand er sich schon auf dem Boden wieder, Hände und Knie im durchnässten Erdreich versunken. Er schimpfte ausgiebig, während er sich aufrichtete, und fluchte, als er spürte, wie ihm der Matsch in die Stulpenstiefel lief. Nis schüttelte den Kopf; ihre schwarzen Augen warfen ihm einen schelmischen Blick zu und gaben ihm zu verstehen, dass er sich das alles selbst zuzuschreiben hatte.
»Ich weiß! Das ist nicht der Weg, den du gewählt hättest! Um eine einfache Botschaft nach Leiland zu bringen, hätte ich dir den Gefallen ja tun können …«
Er verscheuchte fünf Fliegen, zog Umhang und Handschuhe aus und wischte sich die Hände, so gut er konnte, an seiner ledernen Hose ab.
»Aber wir gewinnen über eine Woche, wenn wir hier durchkommen! Ich versichere dir, dass helle Ebenen und frisches Gras vor dir liegen! Für den Augenblick kannst du schmollen, so viel du willst – ich kehre nicht um, selbst, wenn ich hier meine Stiefel verlieren sollte!«
Seine Stimme, die bis dahin gedämpft geklungen hatte, wurde plötzlich lauter und schien meilenweit in die Umgebung zu schallen. Der Nebel erhob sich über die Moore, gleich einem Körper, der sich beim Aufwachen aufrichtet. Gleichzeitig umwogte er Andin in einer plötzlichen Aufwallung, als ob er seine Gegenwart bemerkte.
Erstaunt über diese Erscheinung blieb der junge Mann reglos stehen. Während er mühsam Atem holte, zerschmolz das Universum und wurde erstickend und wattegleich. Wieder kam eine eisige Brise auf, die wie die jämmerliche Klage tausender Stimmen klang. So, als ob in diesem Paradox aus Hitze und Kälte ein düsterer Chor gewaltige Dunstschwaden ausatmete …
Andin schob rasch seine durchnässten Sachen unter einen Riemen seines Gepäcks. Er konnte den Blick nicht mehr von den wabernden Nebelmassen wenden. Sie versuchten vergeblich, eine bedrohliche Gestalt anzunehmen. Der junge Mann dachte nicht mehr an seine müden Augen und auch nicht an den flüssigen Schlamm, der ihm in die Stiefel drang. Deutlich spürte er den mit Lorbeerzweigen verzierten Schwertgriff an seiner Hüfte. Seine rechte Hand hatte sich ihm genähert, während die linke die Zügel der Stute sicher festgehalten hatte. Die ohnehin schon unruhige Nis teilte
Weitere Kostenlose Bücher