Die Reise Nach Helsinki
ungutes Gefühl verstärkte
sich, irgendetwas war im Gange, von dem sie keine Ahnung hatte. Sie
nahm sich vor, Schlipköter weiter im Visier zu behalten. Bevor sie
das Kontor verließ, legte sie ihre Hand auf seinen Arm. »Es täte
mir sehr Leid, wenn du gehen würdest, Onkel Eli, ohne dich kann das
hier doch gar nicht weitergehen.« Sie war nicht sicher, ob er
Tränen in den Augen hatte. »Außerdem haben wir dich alle sehr
gern«, setzte sie hinzu. Dann ging sie schnell, weil sie merkte,
dass auch ihr der Hals eng wurde.
*
Der Zug brauchte eine knappe Stunde
bis Düsseldorf, Anna genoss die Fahrt und dann das Gewühl auf dem
Hauptbahnhof. Die Menschen hier waren eleganter und lebensfroher
als die Bergischen, die immer ein wenig missmutig und gebeugt
daherkamen. Anna registrierte bewundernde Blicke von jungen
Männern, die ihr gut taten und das dunkle Gefühl, das sich seit dem
Besuch in der Kürschnerei in ihr breit gemacht hatte, vertrieben.
Sie schlenderte in der Maisonne über die Königsallee und ließ das
Angebot in den Schaufenstern auf sich wirken. Die Humpelröcke
schienen auf dem Rückzug zu sein, die Schnitte wurden legerer, und
man sah zunehmend auch ausgesprochen schicke und bequeme
Beinkleider, die Anna als bahnbrechende Neuerung in der Frauenmode
empfand.
In einem Herrengeschäft sah sie
einen hellen Sommeranzug, und der zerzauste braune Lockenkopf des
jungen Mannes auf dem Wall schoss ihr in die Erinnerung. Hübsch war
er gewesen, anziehend, anscheinend hatte es ihm auch nichts
ausgemacht, dass sie ihn so angeblafft hatte. In Berlin hatte Anna
einige Flirts gehabt, die aber über unverbindliche Treffen nicht
hinausgekommen waren. Entweder hatten die Männer sich
zurückgezogen, wenn sie schnippisch geworden war - was sie vor
allem tat, wenn sie unsicher war -, oder sie hatte schnell gemerkt,
dass sie nichts mit ihnen anfangen konnte. Dabei sehnte sie sich
danach, sich endlich richtig zu verlieben, mit der Aufgeregtheit
und dem Herzklopfen, das ihre Freundinnen ihr beschrieben hatten.
Außerdem fand sie, dass es durchaus an der Zeit war, mit einem Mann
zu schlafen und die alberne Jungfräulichkeit an den Nagel zu
hängen.
»Was man nicht hat, kann man auch
nicht verlieren«, lautete Adele Hönscheids Meinung zu diesem Thema.
Sie hatte Anna an einem Abend in ihrer gemütlichen Berliner
Wohnung, an dem sie viel Wein getrunken und ununterbrochen
gekichert hatten, gestanden, wie sie es angegangen war. Vor zwei
Jahren, sie war dreiundzwanzig und stand kurz vor dem Abschluss des
Studiums, hatte ein deutlich jüngerer Kommilitone mit ihr im
Seminar gesessen, der sie immer wieder bewundernd angestrahlt
hatte. »Ich habe sofort gedacht, der könnte es sein. Er war süß und
appetitlich, außerdem dachte ich, so ein junger Hüpfer stellt
hinterher keine Ansprüche, der ist wahrscheinlich sogar froh, wenn
er mich schnell wieder los ist.« Adele lud ihn zum Abendessen in
ihre Wohnung ein und verführte ihn bei Kerzenschein nach allen
Regeln der Kunst. »Ich glaube, der hat gar nicht gemerkt, dass es
für mich auch das erste Mal war«, gluckste sie, »der war so
aufgeregt, der hat so gezittert, dass er das Kondom gar nicht
richtig drüberkriegte.« Als sie es ablehnte, sich weiter mit ihm zu
treffen, schwor der junge Mann ihr ewige Liebe und verfiel in
tiefen Kummer, aber Adele wischte ihre Schuldgefühle mit einer
Handbewegung weg. »Wenn ich es nicht beendet hätte, hätte er es
irgendwann getan«, sagte sie kategorisch, »außerdem ist es gut,
wenn sie früh lernen, dass sie nicht immer die Sieger sind. Das hat
ihn schon nicht umgebracht.« Danach hatte sie noch mit einigen
Männern geschlafen, und zu dem Zeitpunkt, als Anna aus
Berlin abfuhr, hatte sie sich in eine Frau
verguckt, die sie bei einer Demonstration kennen gelernt hatte.
Anna nahm sich vor, Adele zu schreiben und nachzufragen, wie es mit
der Sache weitergegangen war.
Bis zum Abend durchstreifte sie die
Düsseldorfer Innenstadt und machte Notizen, zwischendurch kaufte
sie sich eine Sommerbluse, aß ein Stück Torte in einer Konditorei
und schlenderte durch den Hofgarten.
Auf der Rückfahrt kam wieder das
ungute Gefühl vom Vormittag zurück. Pekkas unglückliches Gesicht
stand vor ihr und der verschlossene Elias, der wie gepanzert
gewirkt hatte. Niemals hätte sie sich ein Zerwürfnis zwischen den
beiden vorstellen können. Sie waren zwar unterschiedlich wie Feuer
und Wasser, hatten sich darin aber stets perfekt ergänzt. Onkel Eli
mit seinem
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