Die Reise nach Orb - ein Steampunk-Roman (German Edition)
früher tatsächlich Menschen«, entgegnete Martin. Er trat an eine der großen Glasfronten und versuchte hindurchzusehen.
»Ob man durch diese Glaswände nach draußen blicken kann?«
»Ja, siehst du die Felswand nicht, dort drüben im Schein der Lichter von Stonehenge?«
Martin strengte sich an. Aber seine Augen waren nicht so gut wie Elianes. Vielleicht, wenn er das Licht löschen würde? Er schaute sich nach einem Schalter um. Da fielen ihm kleine Konsolen in den rechten Armlehnen der Sessel ins Auge. Verschieden farbige Hebel und Knöpfe waren darin eingelassen. Er setzte sich und begann mit den Bedienungselementen zu spielen.
»Pass auf, Martin, du hast keine Ahnung, was du tust«, warnte ihn Eliane.
»Ohne Risiko keinen Spaß«, grinste Martin. Da wurde es schlagartig dunkel. Hatte er den richtigen Schalter erwischt? Gleichzeitig ertönte ein tiefes Brummen aus dem Innern der Luftinsel.
»Wenn die Mechanischen erwachen, sind wir geliefert«, sagte Eliane. »Besser, du schaltest die Konsole wieder in ihre Ausgangslage zurück.«
Genau das hatte Martin vor, doch er kam nicht mehr dazu. Die Beleuchtung ging wieder an und neben dem Tisch öffnete sich eine Bodenklappe und ein Gegenstand wuchs in den Saal hinein.
»Ein Sarg!«, stieß Martin entsetzt hervor. Wie ein großer durchsichtiger Kristall geformt, stand er neben dem Tisch, mannshoch mit scharfen Kanten. »Es ist jemand drin«, rief Martin. Er war bleich geworden. Bilder aus einem Horrorfilm, den er einmal gesehen hatte, erschienen vor seinem inneren Auge. Doch die Gestalt im gläsernen Behälter sah keineswegs furchterregend aus. Es war eine Frau mittleren Alters und sie glich verblüffend der Kommandantin von Fort Tesla. Auch sie trug einen offenen dunkelbraunen Mantel aus Leder, darunter war ein Brustpanzer erkennbar mit einem freizügigen Dekolleté. Dieses war mit einem feinen durchsichtigen und dunklen Metallnetz bedeckt, wie er es bereits bei der Kommandantin gesehen hatte. Darüber umschloss ein weißer aufgesetzter Rüschenkragen den Hals. Die blau leuchtenden Epauletten des Mantels wiesen je fünf Stahlzacken auf, zwei mehr als die der Kommandantin. Ihr offenes blondes Haar reichte ihr bis zu der Hüfte. Sie lächelte, doch ihre offenen Augen starrten ins Leere.
»Sie ist tot«, murmelte Martin.
»Vermutlich die ehemalige Kommandantin dieser fliegenden Insel«, sagte Eliane, die zu dem gläsernen Sarg getreten war, um die Frau aus der Nähe zu betrachten. »Vielleicht sogar ein ehemaliges Mitglied des Hohen Rates.«
Martin konnte seinen Blick nicht von den Augen der Toten abwenden. Es war ihm, als würden sie ihm etwas zu sagen versuchen, als ginge eine Botschaft von ihnen aus. Er bewegte die Hebel auf der Konsole und versuchte sie wieder in ihre Grundstellung zu bringen. Aber es gelang ihm offensichtlich nicht. Anstatt zu verschwinden, öffnete sich der kristallene Sarg. Kälte streifte sein Gesicht und auf dem Antlitz der Frau bildeten sich winzige Eiskristalle. Eliane war zwei Schritte zurückgetreten und zielte mit ihrem Nagler auf den gläsernen Sarg. Doch gegen Tote war er ebenso nutzlos wie gegen die Mechanischen.
»Jetzt wird sie zum Leben erwachen und uns ansprechen«, murmelte Martin. Er hatte eine solche Szene schon mal in einem Film gesehen. Doch nichts dergleichen geschah. Die Tote blieb im Sarg und bewegte sich nicht. Eliane drückte sorgfältig den aufgesprungenen Deckel zu. Mit einem Klicken schnappte er ein. Martin wagte es nicht, nochmals die Schalthebel der Konsole zu betätigen. Er erhob sich aus dem Sessel und trat an Elianes Seite.
»Was jetzt? Wir können sie doch nicht einfach hier stehen lassen.«
»Ob hier oder anderswo spielt keine Rolle. Für Tote ist das Leben sowieso vorbei.«
»Glaubst du an ein Leben nach dem Tod?« Er wusste nicht, wieso er sie ausgerechnet jetzt danach fragte. Vielleicht hatte diese Frage schon zu lange in seinem Unterbewusstsein gelauert und war nun durch die äußeren Umstände an die Oberfläche gekommen, und er hatte sie einfach aussprechen müssen, um sie loszuwerden.
Eliane musterte ihn von der Seite und lächelte.
»Du bist manchmal so seltsam, Außenweltler Martin und du stellst die bizarrsten Fragen in den unmöglichsten Momenten. Ein Leben nach dem Tod ist ein Widerspruch in sich. Wenn du die Schwelle überschreitest, beginnen andere Gesetze zu gelten. Die Welt gehört den Lebenden, das Nichts den Toten.«
»Dann glaubst du also, dass nach dem Leben nichts
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