Die Reise nach Orb - ein Steampunk-Roman (German Edition)
geschah.
»Waffe deaktiviert. Kein feindliches Ziel erkannt«, sagte eine Stimme in seinem Kopf.
»Isabelle war die Anführerin der mechanischen Rebellen«, erklärte Thomas. »Der ganze Zug ist voll von Kampfmaschinen. Sie wollen Orb einnehmen, um die Menschen dort auszurotten. Sie wollen auf Tiffany eine Herrschaft der Mechanischen errichten.«
»Das ist nicht wahr!«, schrie Martin. »Das ist unmöglich. Isabelle war immer gut, sie hätte so etwas nie unterstützt. Wie kann sie die Anführerin der Rebellen sein, sie ist ja gar keine Mechanische!«
»Nur die Isabelle, die du gekannt hast, die Isabelle, die vielleicht auf deinem Heimatplaneten zurückgeblieben ist. Doch diese hier ist eine Maschine. Begreif das endlich!«
Martin war am Boden zerstört. Er weinte hemmungslos. Nur am Rande nahm er wahr, dass sich der Mikromechanische aus dem Skelett des Läufers gelöst hatte und auf Isabelle zuwuselte. Was sollte jetzt aus ihm werden? Nun war er ganz allein auf einem fremden Planeten, ohne Beine und umgeben von lauter Feinden. Und in seiner ohnmächtigen Enttäuschung und Wut hätte er beinahe Thomas getötet. In seine Trauer mischten sich Gewissensbisse.
»Die Streitmacht in den Waggons ist glücklicherweise noch nicht aktiviert worden. Vermutlich sollte dies erst bei der Ankunft geschehen«, erklärte Thomas. »Wir müssen den Eisexpress vernichten.«
Da meldete sich der Mikromechanische, der daran war, die tote Isabelle zu untersuchen. Trotz seiner Winzigkeit verfügte er über eine laute Stimme und sie schien Martin jetzt noch lauter als sonst:
»Nur Teile ihres Gehirns sind noch organisch, der restliche Körper ist ausgehöhlt und mechanisiert worden.«
»Wer hat ihr das angetan?«, schluchzte Martin. »Wer hat Isabelle zu diesem Monster gemacht?«
»Vermutlich sie selbst«, entgegnete der Mikromechanische. »Sie muss schon längere Zeit auf Tiffany gelebt haben. Wahrscheinlich hat sie mit kleineren Modifikationen angefangen und ist dann süchtig geworden.«
»Süchtig? Nach Drogen?«
»Nein, nach Biomechanik. Das geschieht manchmal und seriöse Institute können dies rechtzeitig erkennen und stoppen. Vielleicht ist sie an eine Untergrundklinik geraten.«
Martin fasste in diesem Moment einen Entschluss: Nie würde er sich mechanisieren lassen. Lieber würde er sterben, als auch nur einen kleinen Finger gegen eine Mechanik tauschen zu lassen. Isabelle war zum Roboter geworden, er wollte nicht das gleiche Schicksal erleiden. Sie musste in der Tat lange vor ihm auf Tiffany angekommen sein, obschon sie beide zur gleichen Zeit die Erde verlassen hatten. Er erinnerte sich noch gut an den Morgen vor dem fatalen Zwischenfall. Isabelle war so gewesen wie immer und sie beide hatten in dem kleinen Haus am Rande der Stadt auf der anderen Talseite gewohnt. Erst am Mittag, als sie ihn zum Essen gerufen hatte, hatte sich die Welt auf dramatische Weise verändert.
»Wie kann es sein, dass Isabelle so lange vor mir auf Tiffany angekommen ist?«, fragte er, obschon er die Antwort ahnte. Doch er wollte die Wahrheit von jemand anderem hören. Thomas war in der Zwischenzeit zu ihm hinter die Bartheke gekommen und hatte ihm eine Hand auf die Schulter gelegt. Es war ihm anzusehen, dass er sich höchst unwohl fühlte. Sein Kaninchengrinsen war einem ernsten und verlegenen Gesichtsausdruck gewichen.
»Vielleicht sind dein Original und auch die echte Isabelle immer noch auf der Erde, als wäre nichts geschehen. Was jedoch sicher ist: Der Transfer verzerrt auch die Zeit. Ihr beide seid wohl im gleichen Augenblick nach Tiffany abgereist, aber du hast für deine Reise viel länger gebraucht«, erklärte er.
»Das ist doch gar nicht möglich. Isabelle hätte es mir doch gesagt, wenn sie eine Zeit lang alleine auf Tiffany gewesen wäre.«
»Das war sie sicher. Sie hat es dich nur nicht merken lassen. Sie wollte dir die Ankunft so leicht wie möglich machen.«
»Aber wieso dann dieser Wandel? Was ist mit ihr in der kurzen Zeit geschehen, während ich mit Eliane unterwegs war?«
»Es gibt viele Dinge zwischen dem Æther und der Welt, die wir nicht verstehen«, sagte Thomas. »Es ist, wie es ist, und es tut mir unendlich leid, dass ausgerechnet ich ihre Existenz beendet habe. Doch wenn ich es nicht getan hätte, wärst du jetzt an ihrer Stelle tot.«
»Vielleicht wäre das besser gewesen.«
»Genug geredet«, sagte der Mikromechanische. Er war wieder zum Läufer zurückgekehrt und hatte sich in seine Nische eingeklinkt.
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