Die Reise nach Orb - ein Steampunk-Roman (German Edition)
drehen. Aber halten Sie sich fest!« Es war wieder der Läufer, der Morpheus den Ratschlag erteilte. Unverzüglich kam dieser der Aufforderung nach. Der Schlepper machte einen Satz vorwärts und folgte mit zunehmender Geschwindigkeit dem davonfahrenden Eisexpress. Aus den Öffnungen unter dem Steuerstand schossen nun nicht mehr zwei Dampfstrahlen, sondern gleißend helle Lanzen.
»Also doch ein Raketentriebwerk«, konstatierte Martin.
»Ein wenig Chemie anstelle des Heißdampfes«, erklärte der Mikromechanische. »Doch lange hält das nicht vor. Ich bezweifle, dass wir damit den Express einholen werden.«
Der kleine Roboter täuschte sich. Doch das lag nicht am Nachbrenner des Schleppers. Der Eisexpress wurde immer langsamer.
»Da hat ein Passagier die Notbremse gezogen«, vermutete Martin.
»Es gibt keine Notbremse für Passagiere im Eisexpress«, antwortete der Mikromechanische. »Es ist die Lokomotive, die ihre Fahrt vermindert. Das ist ungewöhnlich und es sieht fast so aus, als würden sie auf uns warten.«
Der Schlepper holte rasch auf und Morpheus manövrierte ihn an die Seite des letzten Waggons. Es klang wie ein dumpfer Glockenschlag, als die beiden Gefährte aneinanderstießen. Genau gegenüber dem Steuerstand befand sich die Plattform des letzten Waggons. Der Läufer sprang mit einem gewaltigen Satz hinüber und öffnete die Waggontür.
»Es ist der Speisewagen«, kommentierte der Mikromechanische.
Grün gepolsterte Stühle standen um kleine runde Tische aus dunkel gemasertem Holz. Der Boden war mit einem dicken moosgrünen Teppich ausgelegt und an den Wänden brannten verzierte Gaslaternen. Rechts neben der Tür befand sich eine Bartheke mit einem mechanischen Kellner, der seine Optik auf sie gerichtet hatte. Außer ihm war niemand zu sehen, der Waggon war leer.
Jetzt erschienen auch Morpheus und seine zwei Begleiter in der Tür.
»Wir müssen nach vorne zur Lokomotive«, erklärte Morpheus. »Nur dort können wir den Express anhalten.«
»Das ist vielleicht gar nicht nötig, Mylord«, sagte der Läufer. »Der Express verlangsamt weiter seine Fahrt, und wenn mich nicht alles täuscht, wird er anhalten.«
Ein komischer Kauz, dieser Läufer, ging es Martin durch den Kopf. Er gefiel sich offensichtlich in der Rolle des Beraters des Geheimdienstlers. Gerade so, als würden sie sich schon lange kennen.
Rasch durchquerten sie den Speisewagen. Um in den nächsten Waggon zu gelangen, mussten sie nicht von Plattform zu Plattform klettern. Die beiden Wagen waren durch einen Faltenbalg verbunden. In den eisigen Ebenen der höheren Breitengrade wäre eine Verbindung im Freien wohl zu gefährlich gewesen und durch Schnee und Eis rasch unpassierbar geworden.
Als Morpheus‘ Begleiter die Tür zum nächsten Waggon öffneten, schossen ihnen zwei giftgrüne Strahlen entgegen und bohrten sich in ihre Körper. Die beiden fielen um, wie vom Blitz gefällt. Geistesgegenwärtig schloss Morpheus die Tür und warf sich zu Boden. Zwei weitere Strahlen schossen mitten durch die geschlossene Tür und verfehlten den Läufer nur um Haaresbreite. Martin kam sich vor wie auf einem Präsentierteller, im Exoskelett angeschnallt und zur Unbeweglichkeit verurteilt. Doch der Läufer reagierte sofort. Er eilte in großen Sätzen zurück, durchquerte den Speisewagen und ging hinter der Bartheke in Deckung.
»Wünschen Sie einen Drink, Sir?«, fragte der mechanische Kellner und richtete seine Optik auf Martin.
In diesem Augenblick vernahm er einen heftigen Knall und er sah, wie eine Stichflamme aus dem Faltenbalg zwischen den Waggons schoss. Tische und Stühle wurden umgefegt und er spürte die Druckwelle der Explosion.
»Das war Morpheus«, murmelte er, »jetzt sind wir allein.«
»Das dürfte sich rasch ändern«, kommentierte der Läufer und duckte sich hinter der Bar, sodass nur noch der Kopf hervorlugte, hinter dessen Visier Martin über die Szene blickte.
»Deaktiviere dich augenblicklich oder dein Passagier wird sterben«, tönte es da von der Seite her. Der mechanische Kellner hatte eine kleine Ætherpistole in der Hand und zielte auf Martin. Der Helm fuhr in die Höhe und gab seinen Kopf frei, dann erstarben die Bewegungen des Läufers.
»Was soll das?«, sagte Martin. »Du wolltest mir doch eben noch einen Drink servieren. Jetzt bedrohst du mich?« Vielleicht ließ sich der Roboter so ablenken, überlegte er und er wunderte sich, wieso der Läufer so rasch aufgab und ihn schutzlos dem Feind überließ.
»Die Bar
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