Die Reise nach Orb - ein Steampunk-Roman (German Edition)
ist zurzeit geschlossen, Sir.«
In diesem Augenblick kamen drei Mechanische dampfend in den Speisewagen gestürmt. Aus ihren runden, zylinderförmigen Körpern ragten die Läufe von Ætherwaffen. Gleichzeitig kam der Eisexpress vollends zum Stillstand.
Martins Gedanken rasten. Sie befanden sich in der Falle. Der Eisexpress hatte tatsächlich auf sie gewartet, doch nicht, um sie willkommen zu heißen, sondern um sie endgültig loszuwerden. Doch dann tauchte hinter den Mechanischen jemand auf, den er hier nicht erwartet hätte.
»Isabelle, pass auf, die Mechanischen sind bewaffnet!«, rief er.
Doch Isabelle schien das nicht zu stören. Sie marschierte an den Mechanischen vorbei auf die Bar zu. Gekleidet war sie noch genauso, wie er sie damals in der Küche angetroffen hatte, als er in Tiffany angekommen war. Die Haare knallrot unter dem schwarzen Zylinderhut, mit den daran befestigten Goggles. Auf ihrer Nase saß eine Brille mit kreisrunden Gläsern und sie trug ein schwarz-violettes Korsett mit einem weißen Rüschenkragen und dazu einen weinroten Mini-Rock und Strümpfe mit Zahnradmotiv. Ihre Füße steckten in schwarzen Schnürstiefeln mit hohen Absätzen.
»Martin, was machst du hier? Ich dachte, du seist in Victoria geblieben und dort in Sicherheit. Du musst unverzüglich den Express verlassen!«
»Du auch, Isabelle, der Eisexpress ist eine Gefahr für Orb. Wir beide sind in Gefahr.«
Isabelles Gesichtszüge veränderten sich plötzlich und zeigten ein seltsames Lächeln. Sie näherte sich weiter der Bar und sagte:
»Nein, Martin. Der Eisexpress ist keine Gefahr. Im Gegenteil, er ist die Lösung.«
»Das verstehe ich nicht, Mutter. Für welches Problem soll er eine Lösung sein?«
»Nenn mich nicht Mutter, ich bin nicht deine Mutter, das weißt du. Ich bin Lady Isabelle.«
Martin war zutiefst getroffen. Isabelle musste verrückt geworden sein. Wollte sie tatsächlich, dass er sie mit Lady Isabelle ansprach? Natürlich war sie seine Stiefmutter und nicht seine richtige Mutter. Aber sie hatte ihn immer wie ihr eigenes Kind behandelt, auch wenn sie kaum älter war als er. Noch in Tiffany war alles in Ordnung gewesen. Sie hatte sich Sorgen um ihn gemacht und wollte mit ihm zum Arzt gehen, und jetzt diese schroffe Zurückweisung! Was war nur mit ihr geschehen? Welche Ereignisse hatten zu dieser frappanten Veränderung geführt? Er war verwirrt und fühlte einen Kloß im Hals. Was sollte er antworten? Was konnte er tun? Ratlos sah er Isabelle an, die nun direkt vor ihm an der Bartheke stand. Auch die Mechanischen hinter ihr waren nähergerückt. Sie hatten die Läufe ihrer Ætherwaffen immer noch auf ihn gerichtet.
»… wenn du meinst«, stotterte er. »Vielleicht ist der Eisexpress tatsächlich keine Gefahr …« In diesem Augenblick wurde er wieder zu dem introvertierten Martin, der er gewesen war, und wünschte sich zurück in sein Bastelzimmer, zurück zu seinem Aquarium mit den Fischen. Möglichst weit weg von dieser schrecklichen Welt, mit all ihren Intrigen, Kämpfen und Grausamkeiten, weg von all den mechanischen und verrückten Dingen und wieder zurück zu der Elektronik, die für ihn überschaubar war, deren Schaltpläne er lesen und verstehen konnte.
»Du musst den Eisexpress verlassen – jetzt!«, forderte sie ihn auf. Ihre Gesichtszüge hatten sich verhärtet, alles Liebliche war aus ihnen gewichen.
»Aber was soll ich denn da draußen tun? Zu Fuß zurück nach Victoria gehen? Und warum willst du mich nicht bei dir haben?«
»Weil du nicht dazugehörst. Du bist ein Ausreißer, ein Unfall sozusagen. Du hättest nie nach Tiffany kommen sollen.«
Ihre Worte waren wie ein Schlag ins Gesicht. Er sollte nicht mehr zu ihr gehören und sie bezeichnete ihn gar als Unfall. Seine Augen wurden feucht und Tränen kullerten über die Wangen. Sie gehörten doch zusammen, Isabelle und er. Sie hatten immer zusammen gehört.
»… aber ich liebe dich doch, Mutter«, schluchzte er.
»Dann verschwinde«, fauchte sie ihn an und zielte mit einer kleinen Ætherpistole auf seinen Kopf.
Martin gefror das Blut in den Adern. Seine Stiefmutter bedrohte ihn mit einer Waffe. Das war ungeheuerlich. Würde sie ihn gar erschießen, wenn er ihrer Aufforderung nicht Folge leistete?
»... ja, ich … ich geh ja schon …«, stotterte er. »Aber dazu muss der Läufer wieder aktiviert werden.«
Ihre Augen funkelten jetzt böse, als sie ihn anblickte, und es erschreckte ihn, zu sehen, wie sehr sie sich verändert hatte.
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