Die Reise nach Orb - ein Steampunk-Roman (German Edition)
»Wir müssen die mechanischen Rebellen ausschalten.«
»Sie sind doch schon ausgeschaltet«, entgegnete Martin. Es war ihm schlecht und er war benommen. Seine Tatkraft, die er zu Beginn verspürt hatte, als er in den Läufer geschnallt worden war, war verflogen. Er fühlte sich müde und elend und im Unterleib spürte er ein immer stärker werdendes Pulsieren.
»Nein, sie sind nur deaktiviert. Wir können den Express nicht hier stehen lassen und hoffen, dass das es so bleibt. Wir müssen sicher stellen, dass die Mechanischen nie nach Orb gelangen können, gleich, was auch geschieht«, erklärte Thomas.
»Dann sollten wir den ganzen Zug in die Luft sprengen«, sagte Martin.
»Es wäre schade um den Express. Ich denke, wir sollten etwas raffinierter vorgehen«, meldete sich der Mikromechanische zu Wort. »Ich könnte die Mechanischen manipulieren.«
»Ich dachte, sie seien von einem Virus befallen.«
»Nur im übertragenen Sinn. Ich würde eher sagen, dass sie eine Erkenntnis befallen hat. Nämlich die, dass sie bisher Sklaven waren. Das ist zwar nicht von der Hand zu weisen. Doch bei der Lösung des Problems befinden sie sich in einer Sackgasse. Indem sie ihre vermeintlichen Meister vernichten, vernichten sie am Ende sich selbst.«
»Du bist ja ein kleiner Philosoph«, staunte Martin. »Und was willst du daran ändern?«
»Wir Mikromechanischen sind auch in eine Sackgasse geraten, indem wir uns abgekapselt und in den Æther zurückgezogen haben. Ich denke, dass es für alle das Beste wäre, einen Mittelweg einzuschlagen.«
»Und der wäre?«
»Mechanische und Biologische müssen echte und gleichberechtigte Partner werden.«
»Meinem Passagier geht es schlecht«, meldete sich der Läufer dazwischen. Er muss dringend in eine Klinik. Ich fahre mit dem Schlepper zurück und schaue, dass er versorgt wird.«
»Ausgerechnet du«, sagte der Mikromechanische. Du warst ja bisher nicht in der Lage, ihn zu beschützen. Wie willst du ihn dann sicher in eine Klinik bringen, durch umkämpftes Gebiet hindurch? Du hast dich sogar wegen eines Kellners selbst deaktiviert …«
Der Läufer wurde bei diesen Worten unruhig und drehte sich hin und her: »Er ist weg«, sagte er.
Jetzt bemerkte auch Martin, dass der mechanische Kellner im allgemeinen Durcheinander verschwunden war. Wie hatte er unbemerkt entkommen können?
In diesem Augenblick nahm er draußen vor den Fenstern des Speisewagens eine Bewegung wahr. Ein Schatten huschte vorbei.
»Der Schlepper«, sagte der Läufer. »Der Kellner ist mit dem Schlepper geflohen.«
Thomas war ans Fenster geeilt, doch tun konnte er nichts.
»Jetzt wird er seine Kumpels in Orb alarmieren. Wir sollten uns beeilen, die Mechanischen im Express auszuschalten.«
»Das übernehme ich«, erklärte der Mikromechanische. »Ich schlage vor, ihr beide, Thomas und du, großer Lulatsch, koppelt derweil die Lokomotive ab und fahrt damit nach Orb.«
»Ich bleibe ebenfalls hier«, sagte Thomas und es schien Martin, als traue er dem Mikromechanischen nicht ganz über den Weg.
Der Läufer setzte sich in Bewegung und Martin war erstaunt, welche Geschwindigkeit er dabei entwickelte. In Riesensätzen raste er durch die Waggons. Als sie dort vorbeikamen, wo sich die Explosion ereignet hatte, sah er den toten Morpheus am Boden liegen. Viel war nicht mehr von ihm übrig, nur der Kopf und ein Teil seines Torsos. Doch anstelle von Eingeweiden und Blut quollen Zahnräder und winzige mechanische Teile aus dem zerfetzten Körper. Seine offenen Augen schienen Martin direkt anzustarren. Doch der Läufer hielt nicht an und rannte weiter. Die Waggons waren vollgestopft mit schwer bewaffneten Mechanischen, die leblos in Reih und Glied standen. Nicht auszudenken, was geschehen würde, wenn diese Armee nach Orb gelangen würde. Zumal dort offenbar bereits Teile des Geheimdienstes rebellierten.
So umnebelt und benommen er wegen seinen Verletzungen und dem Verlust seiner Stiefmutter auch war, Martins Verstand arbeitete nach wie auf Hochtouren. Er hatte sich bisher gefragt, wieso die Geheimdienstler mit den Rebellen gemeinsame Sache machten. Jetzt, nachdem er den toten Morpheus gesehen hatte, fiel es ihm wie Schuppen von den Augen. Die Schlapphüte waren hochgradige Hybride und sie fühlten sich offenbar mehr zu den Mechanischen hingezogen, mit einigen Ausnahmen. Ein Grund mehr, sich nie Mechanik einpflanzen zu lassen, folgerte Martin. Auch andere Details ergaben nun plötzlich Sinn. Er erinnerte sich daran, wie
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