Die Reise zum Ich
andere Gruppe, die der polyzyklischen Indole (Ibogain,
Harmalin) könnten aufgrund ihrer Wirkung durchaus als
»oneirophrene« bezeichnet werden, um den von turner für die
harmala-Alkaloide vorgeschlagenen Terminus zu gebrauchen.
Bei der Mehrzahl der Personen rufen sie lebhafte, traumartige
Bildsequenzen hervor, die im Wachzustand bei geschlossenen
Augen meditiert werden können, ohne daß der Kontakt zur
Außenwelt abreißt oder eine Minderung der Denkfähigkeit
eintritt. Was aber die Drogen beider Gruppen für die Psychotherapie besonders wertvoll macht, ist, daß sie den Zugang zu sonst im Unbewußten vorgehenden Prozessen, Gefühlsregun-gen und Gedanken erleichtern - eine Qualität, die es verdient,
als »psychedelisch« im osmondschen Sinn bezeichnet zu wer-
den. Da sie sich insofern von den Halluzinogenen unterschei-
den, als sie nicht die für jene charakteristischen perzeptuellen
Phänomene, keine Depersonalisierung oder Veränderung des
Denkens mit sich bringen, aber dennoch mit ihnen gemeinsam
haben, daß sie das Bewußtsein intensivieren, können sie als
nicht-psychotomimetische Psychedelica bezeichnet werden.
Nicht nur unterscheiden sich die verschiedenen Arten von psy-
chotropen Drogen sichtlich voneinander, sie erzeugen auch
jeweils eigene Wirkungen, die eine Vielfalt von potentiellen
Syndromen hervorrufen können. Bisweilen mag es schwierig
sein, überhaupt irgend etwas Gemeinsames an den möglichen
Reaktionen auf ein und dieselbe Droge zu erkennen; doch in
anderen Fällen wiederum kann man feststellen, daß, was so
unterschiedlich erscheint, lediglich ein anderer Aspekt ein und
desselben Prozesses ist. So wie der Selbstwertverlust durch
LSD ein euphorisches Erleben des Einsseins mit dem Universum vermitteln oder aber tiefe Verzweiflung und ein Sich-Anklammern an die eigene schwache Identität, Angst, Chaos
und Wahnsinn hervorrufen kann, so mag auch das durch
MMDA-Gaben gesteigerte reale Gegenwartsbewußtsein ent20
weder als beglückende Fülle oder aber für den, der noch nicht
bereit ist, sich diesem Augenblick zu stellen, als qualvolle Angst
oder Scham oder Schuldgefühl erlebt werden.
Jede Droge löst mehr als nur zwei typische Syndrome aus, denn
ihre Wirkung wird zusätzlich vom Typus der Persönlichkeit
bestimmt. Jeder Fall und jede Droge erfordert individuelle
Behandlung und Handhabung bei optimalem psychotherapeutischen Vorgehen. Doch wird die Einstellung des Therapeuten im jeweiligen Fall von seinem Einfühlungsvermögen für die
Dimension der geschilderten Gegensätzlichkeit der Erlebnisse
abhängen. Diese Polarität von Seligkeit und Qual, von momentaner Integration und Desintegration der Personalität ist es, mit der ich mich auf den folgenden Seiten befassen möchte.
Gipfel der Euphorie - Gipfel der Pathologie
Offensichtlich können alle psychoaktiven Drogen, von den
Barbituraten bis zum Ibogain, sowohl angenehme wie unangenehme Empfindungen hervorrufen, - Zustände, die weit begehrenswerter erscheinen als die gewohnten, oder aber solche, die nicht allein Leiden, sondern auch böses Denken und Handeln,
ja sogar regelrechte Wahrnehmungsverzerrungen verursachen.
Das für Meskalin charakteristische Erleben von »Himmel und
Hölle« hat Aldous Huxley zu beschreiben versucht, und vielen,
die mit den Wirkungen LSD-ähnlicher Halluzinogene vertraut
sind, dienen seine Bemerkungen heute als Richtmaß. Dennoch
gibt es ebenso viele Himmel und Höllen, wie es Drogen gibt.
Die jeweilige Reaktion des Individuums ist auf die Dauer teilweise konstitutionell bedingt. So tendiert nach sheldon der aktive, kraftvolle Somatotoniker nach dem Genuß von Alkohol
zu vermehrter Aktivität und Aggressivität, der gesellige Visce-
rotoniker zu gesteigerter Emotionalität und Gesprächigkeit,
der introvertierte Cerebrotoniker zu noch größerer Verschlossenheit und Grübelei. Doch welche Persönlichkeitszüge auch immer zu einer bestimmten Reaktion disponiert machen mögen, so ist eines klar: daß die in diesem Buch erörterten Drogen an den jeweiligen Personen bei unterschiedlicher Anwendung
zu unterschiedlichen Zeiten im Lauf einer Behandlung unterschiedliche Reaktionen erzeugen. Darüber hinaus scheint es ziemlich gewiß, daß die Herbeiführung »himmlischer« oder
»höllischer« Erfahrungen weitgehend vom Verhältnis der Per21
son zu ihrer Umgebung und zum Therapeuten sowie von den
Interventionen des Therapeuten während der Behandlung abhängt. Und da dies
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