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Die Reisen des Paulus

Die Reisen des Paulus

Titel: Die Reisen des Paulus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ernle Bradford
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er später so gut kennenlernen sollte. Zweifellos ließ der Vater ihn nicht alleine fahren, sondern gab ihn in die Obhut eines Freundes, vielleicht eines Rabbi, der zurück nach Jerusalem mußte. Schon in jungen Jahren wird Paulus von Jerusalem gehört haben; er wußte auch, daß es jetzt, wie ganz Judäa, unter römischer Herrschaft stand. Augustus hatte im Jahre 6 n. Chr. Archelaos, den korrupten und lasterhaften Sohn Herodes’ des Großen, in die Verbannung geschickt und Judäa, Samaria und Idumäa einem Prokurator unterstellt, dessen Vorgesetzter wiederum der Statthalter der Provinz Syrien war. In der Burg Antonia, der Festung des Herodes oberhalb vom Tempelplatz, wurde eine römische Garnison einquartiert – den Orthodoxen stetes Ärgernis und dauernde Herausforderung. Provokanterweise war jetzt auch nicht mehr Jerusalem die Hauptstadt, sondern die große Küstenstadt Cäsarea. Herodes der Große nannte sie so zu Ehren des Cäsar Augustus. Außerdem hatte er die Hafenanlagen erweitern und einen herrlichen Palast er-bauen lassen, in dem jetzt der römische Statthalter residierte. Wie immer die Juden darüber denken mochten – Cä-
    sarea zur Hauptstadt zu machen zeugte von politischem Taktgefühl und strategischer Klugheit. Denn auf diese Weise lastete die Anwesenheit der Römer nicht zu schwer auf dem empfindlichen und hochexplosiven Jerusalem. Die Rö-
    mer waren damals sehr darauf bedacht, die religiösen Ge-fühle der Juden nicht zu verletzen. Mancher Prokurator 51
    und Statthalter wird sich sehnlichst eine andere Provinz ge-wünscht haben – irgendeinen Weltteil, wo es die Leute mit der Religion nicht gar so genau nahmen, wo ein kosmopolitisches, friedliches Durcheinander von Göttern und Göttinnen herrschte. Obwohl der Prokurator für politische Delikte die Todesstrafe verhängen konnte und für die Ein-treibung der Steuern verantwortlich war, wurde die Stadt de facto von den Juden regiert. Der Hohepriester, die ehemaligen Hohenpriester, Mitglieder von Priesterfamilien und der Sanhedrin (der Hohe Rat, bestehend aus 71 Mitgliedern) sprachen Recht und erhoben die Tempelsteuer. Der Sanhedrin, die höchste jüdische Staatsbehörde, durfte nur eines nicht: nämlich die Todesstrafe verhängen. Dazu bedurfte es der Zustimmung des Prokurators.
    Dies verwickelte System aus militärischen, politischen, religiösen und zivilen Elementen erwartete den jungen Mann aus Tarsus. Das Schiff, auf dem sich er und seine Rei-segenossen befanden, dürfte die syrische Küste abgefahren und die berühmten Städte Sidon und Tyrus passiert haben, um schließlich Cäsarea anzulaufen. Obwohl Paulus von Kindesbeinen an mit der römischen Welt vertraut war, wird er erst jetzt, in Cäsarea, wirklich gemerkt haben, wie allgegenwärtig das römische Heer, die römische Flotte und die römische Verwaltung im gesamten Mittelmeerraum waren.
    Zwar duldete, ja akzeptierte man im römischen Reich alle Völker und Religionen. Doch letzten Endes hielt nur die eiserne Hand Roms, das Legionärsschwert, dieses Menschen-konglomerat zusammen, dieses Riesenreich, das sich von den Hochebenen Kleinasiens über alle Inseln und Länder des Mittelmeers zum fernen Gallien und Spanien und noch 52
    weiter hinauf bis zum regnerischen, nebligen Britannien erstreckte.
    Angesichts von soviel Macht schien es völlig ausgeschlossen, daß ein winziges Volk wie die Juden, mochten sie sich auch für Gottes auserwähltes Volk halten, die Welt verändern konnte. Die riesigen Galeeren in Cäsarea, die am Kai vertäut lagen, die Kauffahrteischiffe, größer als alle, die Paulus in Tarsus gesehen hatte, der Trompetenschall, wenn Soldaten an Land gingen, die Frachtgüter, die aus- und eingeladen wurden, all das zeugte überdeutlich vom Imperium, von der Macht, von der Herrschaft, vom Reich. So stark und gefestigt war es, daß es unangreifbar schien.
    Die Juden auf dem soeben eingetroffenen Küstenfahr-
    zeug zog es in das 55 Kilometer weiter gelegene Jerusalem.
    Jerusalem bedeutete ihnen mehr als alle Macht Roms. Ge-wiß hat auch der Junge so empfunden, wenngleich ihn die Konfrontation mit der römischen Herrschaft erschreckt haben mag. Jerusalem war mehr als jeder andere Ort – eine geistige Entität, ganz anders als weitaus größere Städte wie Rom oder Alexandrien. Eines Tages würde Paulus auch Rom sehen, diesen dampfenden Hexenkessel, die Metropole, von der aus die Welt regiert wurde; doch einstweilen war er unterwegs zu den heiligen Stätten seiner Väter,

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