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Die Reisen des Paulus

Die Reisen des Paulus

Titel: Die Reisen des Paulus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ernle Bradford
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unterwegs zum Tempel, wo er studieren sollte. Dort würde er zu erlernen versuchen, welchen einzig wahren und gerechten Weg der Mensch in seinem Leben beschreiten mußte.
    »Zentral, aber doch abseits gelegen, verteidigungsfähig, aber nicht dominierend«, schreibt G. A. Smith in Jerusalem, »abgeschnitten von den Hauptströmungen der Welt-geschichte, war Jerusalem nichts weiter als eine kleine Stadt 53
    im Hochland, für die Felsen, Ölbäume und Wüste typisch waren. Der Berg Zion, die Felsenburg, Olivet und Gethsemane, die Ölpresse, der Herden-Turm und die Wüste der Hirten – all diese Namen kennzeichneten das Jerusalemer Leben, und bis zum heutigen Tage sind die Dinge, die hinter diesen Namen stehen, die materielle Substanz der Geschichte dieser Stadt geblieben. Doch Jerusalem wurde die Braut der Könige und die Mutter der Propheten.« Die Wü-
    ste reichte fast bis an die Stadtmauern heran. Jerusalem lag zwischen Meer und Wüste. Wasser und Holz waren knapp, den wichtigsten »Exportartikel« der Stadt stellte die Religion dar. Augustus behauptete von Rom, »er hinterlasse eine Stadt von Marmor, während er eine Stadt von Backstei-nen vorgefunden habe«, und Herodes der Große versuch-te Ähnliches in Jerusalem zu leisten. Er und Salomo waren die bedeutendsten Wohltäter der Stadt, zumindest vom Architektonischen her gesehen. Herodes ließ den Tempel völlig wiederherstellen und den Tempelbezirk um das Doppelte vergrößern. Nun gehörte der Bau zu den großartigsten architektonischen Schöpfungen der Welt. Kein Heide durfte ihn betreten. Vor derartigen Verunreinigungen wurde der Tempel durch die »mittlere Trennungsmauer« geschützt, wo griechische und lateinische Inschriften dem Nichtjuden unter Todesstrafe verboten, weiter vorzudringen. Paulus versuchte später, in diese – wenn auch verinnerlichte –
    Mauer eine Bresche zu legen.
    Außerdem ließ Herodes die Befestigungsanlagen aus-
    bessern und machte Jerusalem zu einer der bestgeschützten Städte der Welt. Die bereits vorhandenen Umwallungen und Türme ergänzte er durch die große Burg Antonia 54
    (benannt nach seinem Freund Mark Anton). Sie erhob sich etwa dreißig Meter hoch auf einem Felsen. Ihre Mauern waren mit glatten Steinen verkleidet, damit weder Fuß noch Hand des Angreifers Halt finden konnten. An drei Eck-punkten erhoben sich drei gleich große, etwa dreißig Meter hohe Türme, am vierten stand der fast fünfunddreißig Meter hohe Königsturm. Von hier aus ließ sich der ganze Tempelbezirk überblicken. Und das bedeutete, ob beabsichtigt oder nicht: »Euer Gott mag der größte sein, wie ihr behauptet, aber seht her, Roms Macht schaut auch auf ihn herab!«
    Als Gefangener sollte Paulus eines Tages eine unangenehme Bekanntschaft mit dem Inneren der Burg und ihren Verlie-sen machen.
    Daneben ließ Herodes nach griechisch-römischer Ma-
    nier ein Theater und ein Gymnasion errichten. Eine Arena dagegen gab es nicht – das wäre nicht geduldet worden. Das Schmuckstück der Stadt war sein neuer Palast. Im Sonnenlicht schimmernd, erhob er sich auf dem Westhü-
    gel Jerusalems, und seine Springbrunnen plätscherten selbst im trockenen, glühendheißen Sommer. All das dürfte unser Neuankömmling mit einer gewissen Ehrfurcht wahrgenom-men haben. Tarsus war Provinz dagegen, seine weltbürgerliche Einwohnerschaft schien nicht der Rede wert neben dem bunten Völkergemisch, das sich in den engen Straßen Jerusalems drängte: Menschen aus aller Herren Ländern. Der junge Jude, der all das zum ersten Mal erblickte, muß empfunden haben, daß dies seine Stadt sei, und er muß ungeheuer stolz auf sie gewesen sein. Kamen doch alle Völker der Erde hierher – um Geschäfte zu machen, um zu beten oder einfach, um alles anzustaunen. Wenn aber Soldaten unter 55
    der Führung ihres Zenturio mit wippenden Federbüschen und schimmernden Rüstungen an ihm vorbeimarschierten, das römische Schwert umgegürtet, das die Welt besiegt hatte, wurde er daran gemahnt, daß Jerusalem geknechtet war.
    Doch es gab einen Ort, den zwar er betreten durfte, zu dem aber selbst den allmächtigen römischen Eroberern der Zugang verwehrt war. Er konnte die Mauer passieren, die Welt der Nichtjuden vergessen und das Haus betreten, in dem Gott wohnte. Er konnte sich von der Geschichte seines Volkes gefangennehmen lassen, die Gegenwart der Propheten fühlen und den Herzschlag des Gottes hören, der die Welt regierte. Das Innere Heiligtum war von einer mehr als drei-zehn Meter hohen

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