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Die Reisen des Paulus

Die Reisen des Paulus

Titel: Die Reisen des Paulus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ernle Bradford
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daher wurde sein Zorn aufs äußerste entfacht, als er auf diese Gruppe von Juden stieß, die behaupteten, der Messias sei bereits gekommen. Man hatte ihm seine Rolle entrissen!
    Er konnte sich nicht zu den Aposteln zählen, die den Er-löser persönlich gekannt und mit ihm gesprochen hatten, 110
    und so blieb ihm gewissermaßen nichts anderes übrig, als eine Begegnung zu erfinden. Und das konnte nun niemand bestreiten. Behaupteten nicht die Apostel selbst, sie hätten den Messias nach dem Kreuzestod auf Erden wandeln sehen? Doch das Temperament, das ein Bekehrungserlebnis erfährt (und sich dadurch völlig ändert), bedarf keines logischen oder pragmatischen Grundes. Es ist immer ein leidenschaftliches Temperament – für gewöhnlich ohne viele Prämissen, aber fast ausschließlich vom Gefühl geleitet.
    Arthur Rimbaud, der französische Dichter des 19. Jahrhunderts, der sich einmal vorstellte, er sei Gott geworden, kannte das blendend helle Licht der Offenbarung:
    Elle est retrouvée.
    Quoi? – L’Eternité.
    C’est la mer alliée
    Avec le soleil.*
    Vielleicht sollte man nach keinem weiteren Beweis für die Erfahrung Paulus’ auf der Straße nach Damaskus suchen, sondern sich an die schlichte Feststellung halten: »(Es) umleuchtete ihn plötzlich ein Licht vom Himmel.« Doch da so viele ihre Zeit darauf verwandt haben, Erklärungen zu finden, die für die Vernunft und für materialistische Auffas-sungen gleichermaßen annehmbar sind, müssen wir hier
    * »Sie ist wiedergefunden.

    Was? – Die Ewigkeit.

    Es ist das Meer verbunden

    Mit der Sonne in eins.«

    (Übers. von Walther Küchler)
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    untersuchen, was neben dem mystischen Erlebnis an sich als Möglichkeit in Betracht kommt. Es bietet sich eine schlichte meteorologische Erklärung an: die Gruppe geriet in ein Sommergewitter (was in diesem Teil der Welt keineswegs unwahrscheinlich ist), und Paulus wurde vom Blitz getroffen. Eine kleine Schar von Berittenen, die die Wüste durchquert, erzeugt eine Säule von feuchter Hitze, die leicht eine elektrische Entladung anzieht – ähnlich wie bei einer Herde auf der Weide.
    Man kann mit gutem Recht vermuten, daß ein Mensch,
    der unablässig über eine bestimmte Frage nachgegrübelt und Menschen getroffen hat, die mit demjenigen lebten und sprachen, den sie den Messias nennen, wenn er sich von seiner physischen Erfahrung erholt, diese physische Erfahrung mit dem Gegenstand seines Grübelns gleichsetzt. Wir müssen uns vergegenwärtigen, daß wir als Beweis für das Erlebnis nur den Bericht des Verfassers der Apostelgeschichte haben. Man darf annehmen, aber nicht mit Sicherheit behaupten, daß diese Worte ihm von Paulus selbst mitgeteilt wurden. Was man gern hätte, aber nie bekommen wird, wäre die Aussage eines Mannes aus der Gruppe, die Paulus begleitete. War die Erfahrung nun subjektiv oder objektiv?
    Hatten die anderen („… sie hörten die Stimme, aber sahen niemand«, berichtet die Apostelgeschichte) tatsächlich ein derartiges Erlebnis, oder spielte sich der Vorfall ausschließ-
    lich in Paulus’ Innerem ab? Neben der einfachen Hypothese, es habe sich um ein Sommergewitter gehandelt, gibt es die Theorie, daß Paulus Epileptiker war. Heute sind die Experten geneigt, diese Theorie zu verwerfen. Sie halten wenig von ihren Vorgängern aus dem 19. Jahrhundert, die beflis-112
    sen versuchten, eine rationale Erklärung für die Vision des Paulus zu finden. Mit Epilepsie geht oft sehr hohe Intelligenz einher. Als Beispiele nennen wir Julius Cäsar, Napole-on Bonaparte, Mohammed, Peter den Großen, den Dichter und Maler Edward Lear und den Romancier Dostojewski.
    J. A. C. Brown bezeichnete Dostojewski seiner Gewalttä-
    tigkeit, seines Mystizismus, seiner Impulsivität und seiner Verfolgungsideen wegen als »typisch epileptischen Charakter«. Bemerkenswerterweise wird Paulus von diesem Fach-mann nicht zusammen mit denen genannt, die vermutlich Epileptiker waren – vielleicht ist dieser Gegenstand mittlerweile peinlich geworden. Doch wenn man zugibt, daß der Stifter des Islam an epileptischen Anfällen litt, warum sollte man dann ausschließen, daß der Mann, der der drei-zehnte Apostel wurde, Epileptiker war? Wie seine Lebensgeschichte zeigt, war er gewalttätig, mystizistisch, impulsiv und von Verfolgungsideen heimgesucht. Niemand bestrei-tet, daß Julius Cäsar von seinen epileptischen Anfällen nicht daran gehindert wurde, ein Reich zu regieren und gute lateinische Prosa zu schreiben. Und muß man den

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