Die Reisen des Paulus
heutigen Famagusta gelegen, war der Hauptort im Salzbergwerkgebiet und ein wichtiger Umschlagplatz, daneben die bedeutendste Stadt auf der Osthälfte der Insel. Unsere Reisenden wußten, daß sie hier auf eine recht starke jüdische Gemeinde treffen würden. Eine Unterkunft war schnell gefunden, und so konnten 172
sie rasch ihre Aufgaben in Angriff nehmen – Verbindungen zu den Christen knüpfen und in den Synagogen zu den orthodoxen Juden sprechen.
Zypern lebte damals recht friedlich unter der römi-
schen Herrschaft. Die Insel war nach einer stürmisch bewegten Geschichte und einer Welle von einander ablösenden Eroberern zur Ruhe gekommen. Nach der Schlacht von Actium (31 v. Chr.) hatte Augustus sie in Besitz genommen, ihre Verwaltung aber zehn Jahre darauf in die Hän-de des römischen Senats gelegt. Aus diesem Grunde wird Sergius Paulus, der die Insel regierte, als die Missionsreisenden sie besuchten, in der Apostelgeschichte völlig korrekt als Prokonsul und nicht als Statthalter bezeichnet*. Er scheint ein kultivierter Mann gewesen zu sein, und einiges spricht, wenn auch nicht mit zwingender Gewißheit, da-für, daß er dem Historiker Plinius dem Älteren Informationen über Vorzeit und Altertümer Zyperns zukommen ließ.
Wie viele Menschen seiner Zeit glaubte er an die Astrologie und stand auf vertrautem Fuße mit einem abgefallenen Juden namens Bar-Jesus. Juden, überhaupt Levantiner, traf man oft in römischen Kreisen an, denn die Wissenschaften, auch die Astronomie, die damals unentwirrbar mit der Pseudowissenschaft Astrologie vermischt war, kamen aus dem Osten. In seinem Werk Der Goldene Esel, das im 2.
Jahrhundert entstand, erzählt Apuleius die Geschichte von einem syrischen Astrologen, bei dem ein reicher Kaufmann den Preis für ein Horoskop hinterlegt, das er sich für eine
* Auch die Lutherbibel differenziert hier; nur lauten die entsprechenden Bezeichnungen nicht Prokonsul bzw. Statthalter, sondern »Landvogt« und
»Landpfleger«. (A. d. Ü.)
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Seereise stellen lassen will. Wenn die Sterne günstig sind, wird er fahren. Der Astrologe macht sich an die Arbeit. Da kommt ein junger Mann herbeigelaufen. Der Astrologe be-grüßt ihn und fragt, wie seine Seereise verlaufen ist. Nun kann der junge Mann nicht mehr an sich halten und ruft so laut, daß alle Welt es hört, er habe Schiffbruch erlitten, seinen ganzen Besitz verloren und sei nur mit dem nackten Leben davongekommen. Der Kaufmann horcht auf, nimmt
sein Geld vom Tisch und verschwindet in der lachenden Menge. Derartiges war damals keineswegs ungewöhnlich.
Selbst die Kaiser – beispielsweise Tiberius auf Capri – trafen keine wichtigen Entscheidungen, ohne ihren Wahrsager zu befragen. Weil es an echtem Glauben mangelte, weil man sich nur an eine Macht hielt, nämlich ans Fatum oder die Fortuna, hörten Menschen aus allen Schichten auf Schar-latane, Spitzbuben und Leute, die allen Ernstes davon überzeugt waren, sie könnten in den Sternen lesen. Heutzutage haben wir eine ähnliche Situation: Geschäftsleute, Schauspieler und Schauspielerinnen, Lastwagenfahrer und Groß-
kapitalisten lesen ihr Horoskop in der Zeitung oder konsul-tieren ihren Astrologen.
Nachdem Paulus und seine Gefährten die christliche
Gemeinde im Glauben bestärkt und in den Synagogen gepredigt hatten, reisten sie – entweder zu Fuß oder auf dem Maultier – an der Südküste der Insel entlang nach Paphos.
Hier war das Kultzentrum der Aphrodite/Venus. Es lag auf einem Hügel bei der alten Stadt, ein paar Kilometer oberhalb vom Hafen. Eine Freude muß es gewesen sein, durch den zypriotischen Frühling zu wandern oder zu reiten. Im Norden und Osten umrahmten Paphos die Troodos-Berge 174
mit ihren schneeigen Gipfeln. Auf den Hängen dichte Pi-nienwälder, im ganzen Land der Blütenflor von Wildblumen und drunten das schimmernde Mittelmeer. Das weltberühmte Heiligtum von Paphos wurde, Herodot zufolge, von den Phöniziern begründet. Allerdings ist es gut möglich, daß dort schon lange zuvor eine lokale Fruchtbarkeitsgöttin verehrt wurde. Das Götterbild der heiligen Aphrodite war nicht von griechischer Raffinesse, sondern von phallischer Deutlichkeit. Ähnlich geformte Steine sind an zahlreichen anderen Kultstätten in Syrien, Pamphylien und weiter westlich auf Malta und in Eryx auf Sizilien gefunden worden. Die Aphrodite von Paphos war, wie wahrscheinlich alle Aphroditen der damaligen Zeit, in Frauengewänder gekleidet. Kein rituelles Gemetzel verdunkelte
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