Die Reisen des Paulus
Dämmerung klingen, und die Menschen würden das echte Glück erkennen. Dieser Mann hatte ihnen vorgelogen, sein falscher Gott vermöchte es ihnen zu bringen.
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Erstaunlich genug – Paulus lebte noch. Doch die Narben blieben ihm für immer. Ob man die Hypothe-
sen über Epilepsie oder Malaria verwirft oder nicht – es ist gut möglich, daß seine späteren körperlichen Beschwer-den zu einem Großteil noch von der Steinigung in Lystra herrührten. Barnabas, Freunde und Bekehrte, sammelten sich um den blutüberströmten Paulus, hoben ihn vom Boden auf und brachten ihn in die Stadt zurück. Auf den ersten Blick sieht das gefährlich aus, aber man darf annehmen, daß der Mob sich mittlerweile zerstreut hatte. Sie gingen schnell nach Hause, um keine Schwierigkeiten mit der Obrigkeit zu bekommen, die, ungeachtet dessen, was sie heimlich wünschen mochte, einen Mordversuch nicht einfach übersehen konnte. Man hätte dem schwerverletzten Mann einen Monat oder wenigstens ein paar Tage Ruhe gönnen müssen, aber in Lystra war er nicht mehr sicher. Und schon am nächsten Tag standen Barnabas und Paulus wieder auf der Straße. Man kann vermuten, daß Sympathisanten ihnen einen Esel schenkten oder liehen, denn nach der qual-vollen Steinigung war Paulus natürlich nicht imstande, zu Fuß zu gehen. Sie zogen nach Derbe, einer kleinen Stadt, die wohl mit dem heutigen Daevre Sehri identisch ist. Derbe lag gleich hinter der Grenze der römischen Provinz und gehörte zu einem Gebiet, das König Antiochus von Kommagene regierte, ein Vasall des Kaisers. Derbe war vermutlich nie etwas anderes als eine verschlafene Grenzstadt, aber gerade darum recht gut als Erholungsort für einen Kran-201
ken geeignet. Es dauerte wahrscheinlich sehr lange, bis Paulus von seinen schlimmen Wunden genas. Entweder wohn-te er in einer Herberge – die in manchen Teilen Kleinasiens selbst heute noch reichlich primitiv sind – oder in einem Haus, das einem Freund oder Verwandten von Neubekehrten aus Lystra gehörte. Später schrieb er an die Gemeinden in dieser Gegend, er sei gebrandmarkt worden (wie ein ent-wichener Sklave) zum Zeichen dafür, daß er der Knecht Gottes sei. Beim Kampf um die Gesundheit zeigte er dieselben Qualitäten wie auf allen anderen Gebieten. Weder Schläge noch Steinigung, weder Gefängnis noch Fährnisse, noch Härten konnten ihn davon abhalten, diese Revolution des menschlichen Lebens voranzutreiben. Er predigte den Juden, vor allem aber den Nichtjuden, im römischen Reich, sie alle könnten ein Leben jenseits des zeitlich begrenzten Seins gewinnen, sie alle könnten den Klauen des Todes entrissen werden.
Paulus besaß die Gabe des Verstehens. Er machte sich keine Illusionen über die Schwierigkeit, ein rechtschaffenes Leben zu führen. Ihm war bewußt, daß ein Leben nach den Gesetzen Gottes – jenen Gesetzen, die er während seiner pharisäischen Erziehung gelernt hatte und die nun durch seinen Glauben an den Messias bekräftigt und erhellt wurden – daß ein solches Leben das Allerschwierigste auf Erden ist. Es erforderte eine Disziplin, die weit über das hinausging, was den römischen Soldaten abverlangt wurde, die in entlegenen Gebieten die Grenzen gegen die Parther, die asiatischen Reitervölker oder die wilden teutonischen Stämme verteidigten. Auch andere vor ihm – vor allem Sokrates – hatten begriffen, wie schwer das tugendhafte Leben 202
ist, und Sokrates war ein ebenso ungewöhnlicher Mann wie Paulus, wenn auch auf ganz andere Weise. Platon berichtet uns, daß Sokrates sich während eines rauhen Winters als Soldat im Feld befand. Alle hatten sich wegen der Kälte in dicke Schafspelze gehüllt, er aber trug nichts weiter als seinen Mantel und ging barfuß durch Eis und Schnee. Er war von Natur aus genügsam, konnte aber, wenn er sich danach fühlte, andere unter den Tisch trinken.
Man hätte wohl erwartet, daß Paulus und Barnabas nach der Schneeschmelze im Frühling nach Süden, über die Päs-se des Taurusgebirges nach Taurus und weiter nach Antiochien in Syrien gezogen wären. Weit gefehlt – sie nahmen denselben Weg, den sie gekommen waren: Lystra, wo Paulus gesteinigt worden war, und die anderen Städte, aus denen man sie vertrieben hatte. Sie wollten zusehen, daß das kleine Häuflein von Gläubigen, das sie zurückgelassen hatten, nicht wieder den Irrlehren verfiel, oder sie, falls es schon soweit war, auf den rechten Weg zurückführen. Es kann fast als sicher gelten,
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