Die Reisen des Paulus
war der Messias der Juden. Daß die beiden Missionare bei heidnischen Zyprioten und asiatischen Barbaren gewirkt und sie in die Kirche aufgenommen hatten, ohne strikte Treue zum Überlieferten zu fordern, war eine unerfreuliche Enthüllung. Anscheinend behauptete Paulus – einstmals glühender Pharisäer und Christenverfolger – nunmehr, die ganze Welt könne in ihre Kirche kommen; und das nicht nur, ohne jüdisch zu sein, sondern auch ohne die Thora anerkannt zu haben. Das war undenkbar und alles andere als erstrebenswert. Sie glaubten an Jesus als den wahren Messias, aber sie hatten sich nicht vor-gestellt, daß er auch der Messias der Heiden werden könne 209
– es sei denn, die Heiden taten dasselbe wie die Proselyten. Man kann ihre Auffassung leicht verstehen. Ihr Land stand unter römischer Herrschaft, sie zahlten ihre Steuern an Rom, sie waren bereit zu glauben, daß das verheiße-ne Reich nicht von dieser Welt sei, aber schließlich war der Messias als Jude geboren und hatte Israel die Erlösung verkündet. Sollten sie also wirklich ja dazu sagen, daß ihre Unterdrücker in das Reich Gottes kommen könnten, ohne sich der Zucht des Gesetzes zu beugen, ohne das Kastenzeichen der Beschneidung zu tragen?
All das scheint heute etwas trivial, viel Lärm um einen relativ unbedeutenden operativen Eingriff am Penis, aber damals war es tatsächlich eine Frage von erheblicher Bedeutung.
Das Judentum erkannte unbeschnittene Proselyten nicht an.
Und darum mußten sich auch diejenigen, die jetzt bereit waren, an einen jüdischen Messias zu glauben, erst einmal diesem entscheidenden Gesetz unterwerfen. So unwichtig es auf den ersten Blick auch wirken mag – davon hing sehr viel ab. An diesem Punkt klärte es sich, ob das Christentum eine verbesserte Form des Judentums war oder etwas völlig anderes. Nach dem zu urteilen, was Paulus über seine Predigten in Galatien berichtete, war er sehr viel weitergegangen als erwartet – und gewünscht. Ein Beigeschmack von orienta-lischem Mystizismus, ein Rüchlein von heidnischer Mysterienreligion haftete seiner ausdrücklichen Betonung des Gekreuzigten und des Kreuzes überhaupt an, besonders aber der Behauptung, dem Menschen sei sofort vergeben, wenn er sich zum Glauben an Christus, den Erlöser, bekenne. Man mußte etwas tun. Man mußte genau untersuchen, was den Fremden, weit weg von der Mutterkirche in Jerusalem, über-210
mittelt worden war. Petrus hatte seine Position beim Traum vom leinenen Tuch, das vom Himmel herabgelassen wurde, bereits dargelegt. Außerdem war er ins Haus des Hauptmanns (= Zenturios) Kornelius gekommen und hatte bei dieser Gelegenheit gesagt, obwohl die Juden nicht mit Nichtjuden verkehren und auch nicht mit ihnen zu Tisch sitzen dürften, habe Gott ihm offenbart, kein Mensch solle gemein oder unrein geheißen werden. Petrus suchte Paulus und Barnabas in Antiochien auf. Er machte kein Geheimnis aus seiner Überzeugung. In dieser Stadt, der einzigen im Osten, wo Heiden- und Judenchristen gleichgestellt waren, gesellte er sich wie die anderen zu ehemaligen Heiden. Dann trafen Christen aus Jerusalem ein, frühere Pharisäer. Sie waren jene Abordnung, die untersuchen sollte, ob auf das, was in Antiochien gepredigt wurde, der Vorwurf der Laxheit oder gar der heidnischen Ketzerei zutraf. In einer solchen Stadt muß-
te jeder rechtgläubige Jude oder Christ – sofern er überhaupt gezwungen war, sein Brot hier zu verdienen – sich eng an seinen kleinen Kreis von Gleichgesinnten halten. Dann fanden sie heraus, daß die Heidenchristen tatsächlich nicht beschnitten worden waren. Genauso schlimm – die Judenchristen speisten und tranken zusammen mit diesen ehemaligen Heiden! Vielleicht aßen sie gar »das Andere«? Petrus bekam ihre Argumente in aller Härte zu spüren und ließ vom gesellschaftlichen Umgang mit unbeschnittenen Konvertiten ab.
Das hinterließ bei Barnabas und vielen anderen Judenchristen einen nachhaltigen Eindruck.* Paulus sah, wohin das
* Sie taten es ihm nach. Die Vorgänge in Antiochien werden beschrieben in Gal.
2,11-14. (A. d. Ü.)
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führen würde – zur Spaltung der Kirche. Wenn man nicht rasch handelte, gab es bald zwei Zweige des Christentums, einen jüdischen und einen nichtjüdischen. Wollte man das in Jerusalem? Wollte das Jakobus, der Bruder Jesu? Sie hatten sich im Einverständnis die Hände gereicht, bevor er und Barnabas zur ersten Missionsreise aufgebrochen waren. Es war ausgemacht, daß er den Heiden die frohe
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