Die Reisen des Paulus
pharisäischer Herkunft nun Glauben schenkte oder nicht – jedenfalls gab es keinen Grund, ihn respektlos zu behandeln. Außerdem war er römischer Bürger und damit schon einiger Hochachtung wert. Überdies besaß er eine einwandfreie Bildung: er hatte bei Gamaliel studiert. Paulus wollte gewiß weiter, über die Via Egnatia an die Adria und nach Rom. Gewiß war Beröa eine bezaubernde Provinzstadt, aber ihn zog es zum Mittelpunkt der Macht und der Finsternis. Dort suchten Millionen nach einem Sinn, dort konnte er Millionen mit dem Feuer des Glaubens erfüllen. Er war wieder einmal vom Ziel abgelenkt worden, aber jetzt brannte er erst recht 268
darauf, nach Westen zu gehen. Doch bald wurde es selbst in Beröa zu gefährlich. Natürlich sprach es sich schnell herum, daß in der Stadt zwei Juden weilten, die eine völlig ausgefallene Lehre verkündeten. Ein Mann namens Jeschua oder Jesus habe die Schrift in allen Stücken erfüllt. Er sei der Messias und werde bald wiederkommen. Eine hochbrisan-te Lehre. Sie konnte das Leben aller Juden im Römischen Reich gefährden. Schließlich wußten die jüdischen Gemeinden (einige wenige in Provinzstädten wie Beröa vielleicht ausgenommen), daß Kaiser Claudius vor kurzem die Juden aus Rom vertrieben hatte, weil die Anhänger Christi das rö-
mische Staatswesen bedrohten. Vielleicht schaltete sich sogar der Sanhedrin ein. Er hielt mit starker Hand die Disziplin in den Synagogen aufrecht, und da auf den friedlichen Straßen des Reiches viele Juden reisten, konnte er ohne weiteres mit den Gemeinden außerhalb Judäas in Verbindung bleiben. Die Theorie von der Intervention des Sanhedrin, die oft erörtert wurde und den führenden Männern des Judentums die Schuld gibt, bedarf genauer Prüfung. Denn zu einem gewissen Teil ist das die Ursache für die spätere Ver-dammung der Juden durch die Christen – unlogisch und irrational wie Hitlers Judenverfolgungen, die ideologisch ge-wiß nicht im christlichen Glauben verwurzelt waren. Die Juden wirkten irritierend. Sie sagten, sie seien anders, sie seien das auserwählte Volk, als einzige für ein göttliches Reich bestimmt. Die übrige Menschheit dagegen verbliebe in Finsternis und Unwissenheit. Irritierend auch, daß sie aus irgendeinem Grund klüger, gewitzter zu sein schienen als die meisten anderen Völker. Kein Zweifel, im Geschäft waren die Juden besser als die Phönizier – ebenfalls Semiten 269
–, und sie lebten ruhiger und würdiger als viele andere Nationalitäten. Sie schienen tatsächlich etwas ganz Eigenes zu besitzen, und das machte sie bei ihren Nachbarn nicht eben beliebt. Und nun trat eine weitere, aber wieder völlig andere jüdische Sekte auf, die auch Fremde, Nichtjuden, aufnahm, jedoch behauptete, sie sei etwas ganz Besonderes, »besonderer« noch als die Juden selbst. Als in Thessalonich bekannt wurde, daß Paulus und Silas in Beröa waren, kam es zu einer prompten Reaktion. Es ist immer und in jeder Sozietät einfach gewesen, einen Pöbelhaufen von Taugenichtsen und Tunichtguten zu mobilisieren, denen die Sache selbst ganz gleichgültig ist, wenn nur Geld dabei herausspringt. Wieder gab es Gewalttätigkeiten, Ausschreitungen des Mobs, und wieder mußte Paulus fliehen, um sein Leben zu retten.
Bemerkenswerterweise blieben Silas und Timotheus (der mittlerweile aus Thessalonich nachgekommen war) in Be-röa. Die Obrigkeit hatte es in erster Linie immer auf Paulus abgesehen. Das spricht dafür, daß er der bedeutendste Prediger des Glaubens an »Chrestus« war, und beweist, daß man diesen Glauben für revolutionär hielt.
»Da ließen die Brüder Paulus alsbald ziehen, daß er ginge bis an das Meer« – mehr teilt uns der Verfasser der Apostelgeschichte nicht mit. Er sagt noch, daß Paulus dann in Athen eintraf, und wir dürfen fast mit Sicherheit annehmen, daß er auf dem Seeweg dorthin gelangte. Einige Autoren behaupten, er sei über Land gereist, aber das scheint reichlich unlogisch. Beröa lag etwa 30 Kilometer vom Meer entfernt, und von Methone aus fuhren Schiffe nach allen wichtigen Häfen der Ägäis. (Philipp, der Vater Alexanders des Großen, verlor bei der Belagerung dieser Stadt ein Auge.) 270
Paulus schiffte sich also höchstwahrscheinlich in Methone ein. Es ging an der Küste entlang. Dieser Landstrich gehört zu den schönsten in der ganzen Ägäis. Paulus war geradezu besessen von der Vision einer anderen Welt, aber es steht kaum zu vermuten, daß ihn die herrliche Szenerie unberührt
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