Die Reisen Des Paulus
sein Gelübde zu erfüllen. Der Gemeinde zu Ephesus hatte er gesagt: »Will’s Gott, so will ich wieder zu euch kommen.« Er verließ Jerusalem und reiste wieder nach Norden, nach Antiochien in Syrien. Und so beschloß er seine zweite Missionsreise am selben Ort, von wo aus er seine erste angetreten hatte. Die antiochenische Gemeinde hatte ihn ja entsandt, und daher war es nur recht und billig, daß er zu diesen Menschen zurückkehrte und ihnen alle Neuigkeiten selbst mitteilte. Zwar reisten auch viele andere auf den Land- und Wasserstraßen des Römischen Reiches, aber Paulus’ geradezu besessenes Unterwegs-Sein steht völlig einzig da. Er muß oft unter erbärmlichen Umständen geschlafen haben und zur See gefahren sein. Wahrscheinlich konnte er sich meistens weder Esel noch Pferd leisten, und so wanderte er eben über die Straßen des Ostreichs –
verschwitzt, sein Ränzel auf dem Rücken, einen Stock in der Hand. Aber es zeugt von der erstaunlichen Organisation des Römischen Reiches, daß er und viele seinesgleichen sich frei und ungehindert in Gebieten bewegen konnten, die jahrtausendelang von Räubern und Piraten bedroht gewesen waren, in denen sich jahrtausendelang kleine Stämme und große Reiche bekriegt hatten und wo es nicht viel gegeben hatte außer Gefahr, Dreck und fruchtlosem Bemühen.
* Der Sonnengott Helios wurde ganz besonders auf Rhodos verehrt. Die Insel soll ihm bei der Verteilung der Welt unter die Götter als alleiniger Besitz zuge-sprochen worden sein. (A. d. Ü.)
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Jetzt spürte man überall Roms starke Hand. Dazu schreibt R. H. Barrow in The Romans: »Die Mobilität der Menschen war ebensogroß wie die Mobilität der Götter. Soldaten und Kaufleute, Militär- und Zivilbeamte, Vergnügungsreisende, Studenten, wandernde Philosophen und Prediger, Handels-agenten, kaiserliche Kuriere, Boten von Banken und Reede-reien und noch viele andere drängten sich auf den Straßen und Schiffen. Die großen Städte, vor allem die an der Küste, waren ihrer Bevölkerung nach kosmopolitisch. Syrer und Griechen, Spanier und Afrikaner sowie zahlreiche Gruppen aus anderen Nationalitäten lebten bunt zusammengemischt in den Städten und arbeiteten in denselben Büros und Ab-teilungen oder Handwerksbetrieben und Privathaushal-
ten. Die Satiriker wurden es nicht müde, darauf hinzuweisen, daß der Orontes – ein Fluß in Syrien – seine Wasser in den Tiber ergieße. Die Ausländer brachten ihre Sitten, ihren Aberglauben, ihre Kulte und Moralbegriffe mit; und die östlichen Religionen drangen bis tief in den Westen vor …«
Bedenken wir, wie riesig das Römische Reich war. Bedenken wir, wieviel Millionen Einwohner es hatte. Es spricht für die Effizienz der römischen Waffen und für die Effizienz der römischen Verkehrs- und Nachrichtenverbindungen, daß die Heere, die die Grenzen bewachten, kaum stärker als eine halbe Million Mann gewesen sein dürften. Und von diesen waren etwa fünfzig Prozent örtliche Hilfstrup-pen. Paulus’ missionarisches Wirken, seine wiederholte Rettung vor Gefahr und Gewalt, sein Noch-am-Leben-Sein –
all das war zum großen Teil den Römern zu verdanken.
Wir wissen so gut wie nichts über seinen Aufenthalt in Antiochien. Vielleicht dürfen wir darum annehmen, daß 294
dort alles in bester Ordnung war. Aber wahrscheinlich erfuhr er während dieser Zeit, da ihm bereits eine Reise nach Ephesus vorschwebte, von den Mißständen in Galatien. Die pharisäische Partei, die die Beschneidung forderte, war in den Jahren seiner Abwesenheit wieder tätig geworden und hatte verkündet, der Mensch sei nicht vom Gesetz befreit, nur weil er an Christus als den Messias glaube. Das erregte Paulus’ Zorn. Diese Leute zerstörten, was er aufgebaut hatte, untergruben seine Lehre, daß es über dem mosaischen Gesetz ein anderes Gesetz gab, das alle Gläubigen frei machte. Der Brief an die Galater beginnt ganz formell:
»Paulus, ein Apostel nicht von Menschen, auch nicht
durch einen Menschen, sondern durch Jesus Christus und Gott, den Vater, der ihn auferweckt hat von den Toten …«
Dann weist er sie wegen ihres Abfalls vom wahren Glauben zurecht. Er ist offensichtlich erbost, und deshalb schont er seine Feinde nicht. Er schleudert sogar einen Fluch gegen sie: »Wenn jemand euch Evangelium predigt anders, als ihr es empfangen habt, der sei verflucht.« Zwar hatte der Fluch noch nicht dieselbe Bedeutung wie in der späteren Kirche, aber Menschen, die mit heidnischen Gepflogenheiten
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