Die Reisen Des Paulus
Juden einmütig wider Paulus und führten ihn vor den Richterstuhl …« Die Apostelgeschichte erwähnt in diesem Zusammenhang weder Silas noch Timotheus. Immer
entzündete sich der Streit an Paulus. Mit seiner Überzeugungskraft brachte er alle Gemeindeältesten gegen sich auf, weil sie ihm vor Zeugen und Zuhörern unterlagen. Wenn sie nicht glauben wollten, dann mochten sie zugrunde gehen und verderben! Eine solche Zuversicht kann viele Menschen 287
bewegen und begeistern, vor allem diejenigen, die nicht wissen, was sie eigentlich wollen und meinen – und eine solche Zuversicht macht außerdem böses Blut. Und wieder wurde dieser alternde, aber unbezähmbare Mann – zweifellos unter Schlägen und Tritten – vor die Obrigkeit geschleift.
Die Juden beschuldigten ihn, er versuche die Menschen zu überreden, daß sie Gott auf gesetzeswidrige Weise dienten.
Und was sollte das heißen? Es gab viele Götter, Myriaden von Göttern, und jeder hatte sein eigenes Ritual, sein eigenes Zeremoniell. Wie konnte man also Leute lehren, irgendeinen orientalischen Gott auf gesetzeswidrige Weise anzubeten? Und unter Gesetz verstand ein Römer natürlich das römische Gesetz, nicht die Thora. Gesetzeswidrig? Der Antwort darauf geht man oft aus dem Weg, obwohl sie sehr einfach ist: Paulus’ Lehre war Rom und dem Kaiser gegen-
über subversiv. Er predigte das nahe Weltende, die Wiederkehr eines jüdischen Königs, der der König der Könige war, die Zerstörung Roms und der römischen Welt, die Erhe-bung einer kleinen Gruppe von Juden und Nichtjuden, die ein neuartiges Staatsgebilde schaffen würden. So erschien es jedenfalls vielen Leuten, und so wollten es die Juden immer der römischen Obrigkeit darstellen.
Doch zu ihrem Pech ging der liberale und feinfühlige Gallio nicht recht auf sie ein. Gallio wird oft als ein zweiter Pontius Pilatus verleumdet, der lediglich seine Hän-de in Unschuld waschen wollte. Das entspricht keineswegs der Wahrheit. Gallio lauschte der Beschuldigung: »Dieser Mensch überredet die Leute, Gott zu dienen dem Gesetze zuwider.« Er dachte nach und kam zu dem Schluß, daß kein Verstoß gegen das römische Gesetz vorlag. Anscheinend 288
ging es hier nur um Interpretationsfragen, um Streitigkeiten, die gewisse Punkte der jüdischen Geschichte und Religion betrafen. Und wo und was war das Delikt? Ach, die Juden waren doch das lästigste Volk im ganzen Reich! Die Gallier, die Germanen, die Britannier – nicht einmal mit diesen Barbarenvölkern hatte man so viele Schwierigkeiten wie mit dem kleinen, heißblütigen Volk aus dem Osten. Erst kürzlich hatte sie der Kaiser aus Rom verbannt – und recht daran getan. Und hier in Korinth verwickelten sie einen in die gleichen langweiligen Dispute. Gallio kam zu einer klaren Entscheidung. Er sagte: »Wenn es ein Frevel oder ein Vergehen wäre, ihr Juden, so hörte ich euch billig; weil es aber Fragen sind von der Lehre und von Personen und von dem Gesetz unter euch, so sehet ihr selber zu; ich gedenke, darüber nicht Richter zu sein.« Und damit gebot er ihnen, sich zu entfernen. Die jüdische Gemeinde hatte das Ge-fühl, Sosthenes, der Vorsteher der Synagoge, habe die Sache falsch angepackt und sich zu sehr auf Verstöße gegen das jü-
dische Gesetz konzentriert. Er hätte dem Römer einleuch-tend vor Augen führen müssen, daß die Paulinische Leh-re eine Bedrohung für den Kaiser darstellte! In ihrem Zorn über den Ausgang der Affäre ergriffen sie Sosthenes und schlugen ihn vor dem Richterstuhl. »Und Gallio kümmerte sich nicht darum.« »Diese Juden!« dachte er wohl. Und der da würde ihn sicher nicht noch einmal belästigen. Paulus ging als freier Mann von dannen.
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Die Entscheidung des Prokonsuls verhalf Paulus dazu, daß er ungehindert seine Arbeit fortführen konnte.
Die Juden, zweifellos gedemütigt durch die kühle Gleichgültigkeit, mit der Gallio ihren internen Auseinandersetzungen und Disputen gegenüberstand, hielten sich zurück.
Im März 53, als das Segeljahr offiziell eröffnet wurde, verließ Paulus Korinth. Er hatte dort mindestens anderthalb Jahre gewirkt. Eine kleine, aber zuverlässige Christengemeinde war entstanden. Er dürfte das Gefühl gehabt haben, daß sein Aufenthalt in Korinth sich gelohnt hatte. Korinth gehörte, wie Alexandrien (das Paulus nie kennenlernte), wegen seiner Bedeutung als Handelsplatz und Hafen zu den Nervenzentren der römischen Welt. Neubekehrte Seeleute
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