Die Reisen Des Paulus
sich in sein Schwert. Die Legende, würdig ausgedrückt im großen Triumphbogen von Philippi, schrieb Augustus den Sieg zu. So stellte man es zumindest dar, als Augustus über Antonius und Kleopatra triumphiert und die ganze rö-
mische Welt an sich gerissen hatte. In Wirklichkeit war der Sieg über die abtrünnigen Republikaner fast ausschließlich Antonius zu verdanken, der ein glänzender Feldherr war
– im Privatleben allerdings der typische Römer, den Paulus so sehr verabscheute. Trotzdem gebührt ihm der Ruhm, alles andere ist pure Erfindung. Oktavian (den Beinamen Augustus nahm er erst später an) war damals zu krank gewesen, um sich wirklich am Gefecht oder an der Schlach-tenlenkung beteiligen zu können. All das wird Paulus und seinen Gefährten wenig oder nichts bedeutet haben, als sie auf der schönen gepflasterten Straße bergab gingen und den Triumphbogen erblickten, der nichts weiter als eine Lüge verewigte.
Philippi war eine Kolonialstadt, ein kleines Rom in Mazedonien sozusagen, ein lokales Verwaltungs- und Herr-schaftszentrum. Die jüdische Gemeinde war so winzig, daß es nicht einmal eine Synagoge gab, sondern nur einen kleinen Versammlungsplatz außerhalb der Stadtmauern, nahe beim Flüßchen Gangites. Hier trafen am Sabbat Juden und Proselyten zusammen, nahmen die rituellen Handwaschun-gen vor, beteten dann und lauschten einer Lesung aus dem Gesetz und den Propheten. Paulus, Silas, Timotheus und Lukas, die wahrscheinlich in einem Gasthaus wohnten, wie 232
man es in vielen römischen Städten fand – gewöhnlich eine Mischung aus Taverne, Bordell und Herberge –, hatten sich bald nach der jüdischen Gemeinde durchgefragt. Paulus nahm die erste Gelegenheit wahr, die sich bot, um das Evangelium zu verkündigen. Er predigte vom Messias, von der Auferstehung und von der Verheißung, die für alle Menschen unter der Sonne galt, wenn sie nur glaubten.
In Anbetracht dessen, was später in Philippi und an-
derswo geschah, müssen wir uns einmal überlegen, warum die Paulinische Botschaft, die politisch nicht relevanter zu sein schien als der Isis- oder Attiskult, überhaupt mißverstanden werden konnte. Paulus und alle anderen griechisch-sprechenden Christen sagten für »Auferstehung Christi«
Anastasis Christou. Anastasis hatte aber auch die Bedeutung Aufstand. Die Christen waren ständig der Feindseligkeit der orthodoxen Juden ausgesetzt, weil sie behaupteten, der Messias sei bereits gekommen. Unter den Römern mußten sie einiger Mißverständnisse wegen leiden. Aufstand Christi – das ließ an eine messianische Revolte denken, und dergleichen fürchteten die Römer natürlich, ebenso die orthodoxen Juden, die sich mit den Römern arrangiert hatten und unter dem Schutz des römischen Gesetzes lebten.
Die Christen waren demnach also Revolutionäre. Aus der Wendung Christus, der König, schlossen sie außerdem, hier werde ein zweiter Herrscher auf Erden ausgerufen – aber es konnte nur einen geben: den Kaiser in Rom. Dazu kamen weitere Faktoren, die R. H. Barrow in seinem Werk The Romans beschreibt: »Erstens war das Christentum besonders anfällig für Fehlinterpretationen, zweitens schienen die Christen das Menschengeschlecht geradezu zu hassen.
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Sie erwarteten die baldige Wiederkehr Christi – alle außer ihnen würden dann durchs Feuer umkommen; und auf diesen Zusammenbruch des ›Ewigen Rom‹, diese Katastrophe für alle Hoffnungen der Menschheit, schienen sie sich auch noch zu freuen. Im zweiten Jahrhundert und später drückte sich diese geistige Einstellung anders aus: die Christen traten ans Licht der Öffentlichkeit und provozierten Haß, um die Märtyrerkrone zu gewinnen. Die Christen kamen aus den unteren Gesellschaftsschichten, und es sah so aus, als zielte ihre Lehre auf eine soziale Revolution ab.« Als spä-
ter die Kirche, die Paulus mitbegründet hatte, weitverbreitet und wohlorganisiert war, ergaben sich neue Probleme. Die Christen hielten ihre Gebetsversammlungen nicht in der Öffentlichkeit ab wie die Anhänger anderer Götter (ausgenommen bestimmte Mysterienreligionen). Und das brachte sie leicht in den Verdacht, sie hätten merkwürdige unmoralische Praktiken oder seien gar dem Kannibalismus verfallen. Was zum Beispiel sollte sich ein Römer bei den folgenden Worten des Johannes denken, des geistigen Nachfolgers von Paulus? »Jesus sprach zu ihnen: Wahrlich, wahrlich, ich sage euch: Werdet ihr nicht essen das Fleisch des Menschensohnes und trinken sein Blut,
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