Die Reisen Des Paulus
so habt ihr kein Leben in euch. Wer mein Fleisch isset und trinket mein Blut, der hat das ewige Leben, und ich werde ihn am Jüngsten Tage auferwecken.«
All das lag in weiter Zukunft, aber im Keim waren die Mißverständnisse schon vorhanden. Es gab bereits einen Märtyrer, den von den Juden gesteinigten Stephanus; und Paulus söhnte sich weder mit seinen Gegnern aus, noch paßte er sich Anhängern anderer Religionen an – er ging 234
unbeirrbar seinen Weg. Anfangs ließ sich in der kleinen Gemeinde von Philippi alles gut an. Der erste Mensch auf eu-ropäischem Boden, der zum Christentum übertrat, war eine Frau – Lydia aus Thyatira, einer Stadt in Lydien (Kleinasien). Wie damals üblich, benannte sie sich mit diesem Namen, den sie auch im Geschäft gebrauchte, vermutlich nach ihrem Heimatland. Sie war eine »Purpurkrämerin«, Aus-landsvertreterin der berühmten lydischen Färbemittel, die neben den phönizischen in der Antike sehr begehrt waren.
Lydia hatte sich bereits zum Judentum bekehrt und galt damit als »Gottesfürchtige« – so bezeichnete man die Proselyten –, aber in der Paulinischen Botschaft fand sie etwas, was sie weit mehr ansprach als Jahwe und die strengen Gebote des jüdischen Gesetzes. Das Christentum hat immer ein Element enthalten, das besonders auf Frauen anziehend wirkte, eine Freundlichkeit, ja Zärtlichkeit, die man in anderen Religionen vergeblich sucht.
Lydia war zweifellos eine recht wohlhabende Frau. Sie lud Paulus und seine Freunde ein, bei ihr zu wohnen. Doch vorher ließ sie sich »mit ihrem Hause« im Gangites taufen.
Später half die kleine Kirche von Philippi Paulus mehrmals mit Geld aus, zum Beispiel als er in Rom gefangensaß. Das meiste davon, möchte man annehmen, kam von Lydia und damit indirekt von der lydischen Färbeindustrie. Das ist nicht ohne Ironie, denn Lydien war als Land des Luxus und des Reichtums bekannt. Hier hatte man das Würfelspiel und die Kunst des Münzenschlagens erfunden. Die lydische Musik war berühmt für ihre einschmeichelnden, sinnlichen Weisen. Doch an der Echtheit von Lydias Bekehrung gibt es keinen Zweifel, und Paulus und seine Gefährten, froh dar-235
über, daß sie das Wirtshaus mit seiner schwülen Atmosphä-
re verlassen konnten, nahmen dankbar die Gastfreundschaft der Konvertitin aus Lydien an.
Paulus hatte den Grundstein zu einer Gemeinde in
Philippi gelegt, was in Anbetracht der Tatsache, daß es so wenig Juden gab, die sozusagen das Rückgrat der Gemeinde zu bilden vermochten, keine geringe Leistung war – aber es verlief wie üblich nicht reibungslos. Diesmal waren die Schwierigkeiten recht ungewöhnlicher Art. Eines Tages, als Paulus und die anderen zum Beten an den Fluß gingen, folgte ihnen eine junge Sklavin, die offenbar schon öfter ihren Gesprächen und Predigten gelauscht hatte. Sie war keine gewöhnliche Sklavin, sondern »hatte einen Wahrsagegeist«.
Kartenleger, Medien, Wahrsager – all das gibt es heute noch und war, wie wir bereits gesehen haben, im 1. Jahrhundert durchaus nichts Ungewöhnliches. In Griechenland konnten sie auf eine uralte und hochgeachtete Ahnenreihe zurück-blicken, etwa auf die Priesterinnen von Delphi, die mit ihren Orakeln jahrhundertelang griechische Schicksale beeinfluß-
ten. Im Urtext heißt es, das Mädchen sei von einem python besessen gewesen, wörtlich von einem Geist, doch python stand auch in einem gewissen Zusammenhang mit der riesigen Schlange, die Apollo in Delphi getötet haben soll (daher auch die Bezeichnung »der pythische Gott«). Wie die delphischen Priesterinnen scheint das Mädchen hin und wieder in kataleptische Trancezustände versunken zu sein, während deren sie mit veränderter Stimme vor sich hin phantasierte. Ihre Äußerungen wurden von ihren Herren ausgelegt – sie gehörte sozusagen einem Syndikat. Gewiß kannten die Herren sich in Philippi aus und konnten daher, 236
handle es sich nun um Geschäftsangelegenheiten, Liebes-geschichten oder andere Fragen, die Schreie des Mädchens interpretieren, wie es ihnen am besten behagte, und außerdem ein stattliches Sümmchen einstreichen. Die junge Sklavin besuchte ständig die Zusammenkünfte von Paulus und seinen Freunden, folgte ihnen beharrlich und rief: »Diese Menschen sind Knechte des allerhöchsten Gottes, die euch den Weg des Heils verkündigen.« Natürlich hatte sie gehört, wie Paulus und andere am Fluß zu der kleinen Gemeinde predigten, denn bezeichnenderweise gebrauchte sie eine typisch
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