Die Reisen Des Paulus
zu leben –, war der Einfluß von Freigelassenen wie Pallas und Narcissus nahezu ins Unermeßliche gewachsen. Der Kaiser beschäftigte sich lieber mit seinen Studien, mit seinen historischen Werken und seiner Autobiographie. Leider ist nichts davon erhalten, man hätte aus diesen Schriften allerhand Aufschlüsse über die Zeit gewinnen können, in der Paulus lebte und wirkte. Die Freigelassenen (die eine ähnliche Rolle spielten wie später im Osmanischen Reich die Eunuchen) trieben zwar keine Mißwirtschaft, aber ihre Herrschaft verletzte die Menschen, die eigentlich hätten regieren sollen, tief in ihrem Stolz. Die Oberklasse war durch die Bürgerkriege sowie durch Tiberius und Caligula dezimiert worden und klammerte sich zwar nach wie vor an die machtvolle Selbstdarstellung, hielt aber in Wirklichkeit nie die Zügel in der Hand. Auf Claudius’ Aktivsei-te standen der Bau eines Hafens für Rom-Ostia, die Trok-kenlegung des Fuciner Sees und zwei neue Aquädukte. Auf der Debetseite verzeichnete man die immer stärker wer-262
dende Abhängigkeit von seinen Freigelassenen, die Stellung und Macht ausschließlich ihm verdankten, und seine kata-strophalen Mißgriffe bei der Wahl von Frauen, die sein einsames Leben mit ihm teilen sollten. Messalina ist zu Recht in die Geschichte und Literatur als Musterbeispiel einer verdorbenen und sexuell unersättlichen Frau eingegangen.
Claudius ließ sie schließlich hinrichten. Doch bei der nächsten Gattin hatte er auch keine glücklichere Hand. Agrippina war vor der Eheschließung mit Claudius bereits zweimal verheiratet gewesen. Von ihrem ersten Mann hatte sie einen Sohn – den späteren Kaiser Nero. Sie brachte den schwa-chen, auf seine Studien versessenen Claudius dazu, ihren Sohn zum Thronnachfolger zu bestimmen und Britannicus, seinen Sohn aus der Ehe mit Messalina, einfach zu übergehen. Ein Jahr nachdem Nero die Regierung angetreten hatte, ließ er Britannicus vergiften. Obendrein war Agrippina des Claudius Nichte, was etliche Römer gegen ihn auf-brachte, denn sie betrachteten die Beziehung als inzestu-
ös. Es ist zweifelhaft, ob Paulus diese Verwicklungen und die hochkomplexen Machtverhältnisse Roms kannte. Vielleicht wußte er einiges vom Hörensagen. In Korinth, wo er aus Rom vertriebenen Christen begegnete, müßte er eigentlich etwas davon erfahren haben. Und das konnte ihn nur in seinem Willen bestärken, die Welt anders zu ordnen. Trotz seiner Anfangserfolge in Thessalonich – vielleicht hoffte er, hier könne er sich für eine Weile niederlassen und eine griechische Kirche aufbauen – stieß Paulus auf die nun schon vertrauten Schwierigkeiten. Den gesetzestreuen Juden war seine Botschaft zuwider. Manchmal hat man das Gefühl, daß Paulus, obwohl stolz auf seine pharisäische Ausbildung 263
und sein Judentum, das eigene Volk nicht schätzte. Auch rö-
mischer Bürger zu sein bedeutete ihm eine Stütze. Schwierigkeiten bekam er fast ausschließlich mit den Juden. Die Heiden dagegen, auch wenn sie seine Botschaft nicht annahmen, verhielten sich im allgemeinen toleranter als seine eigenen Leute. In Rom hatte man schon entdeckt, was den Umgang mit den Juden so komplizierte: Sie waren das in-toleranteste Volk im ganzen Reich. Man konnte sie dulden, solange sie sich an ihresgleichen hielten, was sie früher auch immer getan hatten. Doch jetzt ergab sich eine völlig neue Lage. Die Anhänger dieses »Chrestus« schienen den Staat zu bedrohen. Crimen maiestatis, Majestätsverbrechen – das war es. Denn einen Gegenkönig auszurufen stellte ein Verbrechen gegen den Kaiser dar. Die orthodoxen Juden verkündeten einen anderen Gott, was man billigen konnte, denn man kannte ja viele Götter, und jedermann hatte das Recht, nach seiner Fasson selig zu werden. Doch die neue Sekte, die nicht nur aus Juden, sondern auch aus Angehö-
rigen anderer Völker bestand, predigte, Christus könne jederzeit wiederkommen, seine Herrschaft aufrichten und ein völlig anderes Reich schaffen. Kein Zweifel, Paulus und fast alle frühen Christen glaubten an die baldige Rückkehr des Messias. Paulus’ Worte, Worte aus dem ersten Thessa-lonicherbrief etwa, mußten die orthodoxen Juden erbosen.
Die Orthodoxen, sagte er, „… haben den Herrn Jesus getö-
tet und die Propheten und haben uns verfolgt und gefallen Gott nicht und sind allen Menschen feind«. Und so kann es nicht überraschen, was bald nach der Ankunft von Paulus und seinen Gefährten in Thessalonich geschah: »Aber die
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