Die Reisen Des Paulus
Juden wurden voll Neid und nahmen zu sich etliche 264
Männer aus dem Pöbel, rotteten sich zusammen und richteten einen Aufruhr in der Stadt an …« Sie stürmten das Haus eines Juden, der den griechischen Namen Jason trug.
Die drei »Unruhestifter« wohnten bei ihm. Doch zufälliger-weise oder aufgrund einer Warnung war keiner von den Gesuchten da. Dafür wurden Jason und einige andere Christen vor Gericht geschleift. Die Beschuldigung lautete: »Und diese alle handeln wider des Kaisers Gebote, sagen, ein anderer sei König, nämlich Jesus.«
Und das war nicht einmal falsch. Denn genau das pre-
digte Paulus. Schlichtere Gemüter faßten die Lehre von der baldigen Rückkehr wohl so auf, als käme in Kürze ein gro-
ßer König aus dem Osten, der das Römische Reich zer-
schlug. Anders als ihre Kollegen in Philippi waren die Richter von Thessalonich sehr vorsichtig. (Vielleicht wußten sie bereits, daß Paulus und Silas das römische Bürgerrecht be-saßen.) Wie fast alle Personen von der römischen Verwaltung, mit denen Paulus im Laufe seines Lebens in Konflikt geriet, wollten sie nichts weiter als Ruhe und Frieden. In ihrem Bereich sollte alles seinen gewohnten Gang gehen. Und wer könnte ihnen daraus einen Vorwurf machen? Zu diesem Zweck hatte man sie ja in ihr Amt eingesetzt. Und nun trat dieser jüdische Unruhestifter auf, erzählte wirre Geschichten von einem anderen Juden, der anscheinend gekreuzigt worden war und es überlebt hatte (ausgeschlossen!) und irgendwann in nächster Zeit die Weltherrschaft übernehmen würde. Jason war ein bekannter Mann. Andere angesehene Bürger und Frauen aus gutem Hause teilten seinen wahnwitzigen, aber auch gefährlichen Glauben. Am besten sollten sie alle eine Bürgschaft hinterlegen. Vielleicht 265
bewahrten sie dann endlich Ruhe. Und natürlich mußten die Rädelsführer dieses aufwieglerischen Unsinns die Stadt verlassen, und zwar so schnell wie möglich.
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A
Das Städtchen Beröa liegt am Fuße des Olymp, da-
mals wie heute bekannt für sein mildes und angeneh-
mes Sommerwetter – kühle Winde umfächeln die Hänge,
während drunten überm Flachland und dem Küstenstreifen drückende Hitze lastet. Beröa war etwa 30 Kilometer vom Meer entfernt, gehörte zu den ältesten Städten Mazedoniens und hatte, wie so viele Orte, auch jüdische Einwohner.
Jason und die Neubekehrten von Thessalonich dürften Paulus und Silas vorgeschlagen haben, sich nach Beröa zurückzuziehen, wo es friedlich zuging und wo es außerdem eine jüdische Gemeinde gab, die Neuem gegenüber aufgeschlos-sen war. Timotheus blieb anscheinend noch in Thessalonich und folgte erst später nach. Er und Lukas kamen offenbar nicht so oft in Schwierigkeiten wie Paulus und Silas. Allerdings kam Paulus sein ganzes Leben lang in Schwierigkeiten, unabhängig davon, wer bei ihm war. Er suchte die Auseinandersetzung, möchte man sagen, ähnlich wie der Pilot eines Wetterflugzeugs, der einen Wirbelsturm zu erforschen hat.
Barnabas, eine gesetzte Persönlichkeit, versuchte die Zuhö-
rer durch Vernunft oder freundliche Überredungskunst zu gewinnen, Lukas hielt sich zurück und beobachtete aus dem Hintergrund – nicht so Paulus. Wo immer er war, schlugen die Wellen hoch, herrschte Sturm. »Die Brüder aber ließen alsbald bei der Nacht Paulus und Silas nach Beröa ziehen.«
Es war schön dort – kühl strömte ein Bergfluß zu Tal, und die Menschen waren freundlich zu Reisenden aus fremden Ländern und ihnen wohlgesinnt. Ein kleiner Ort. Die Syn-267
agogenältesten lauschten mit Vergnügen und Aufmerksamkeit jenem Fremden, der eine seltsame Botschaft zu verkündigen hatte. Sie waren gastfreundlich und interessiert an Neuigkeiten aus der Außenwelt. Also war der Messias tatsächlich erschienen, und er würde wiederkommen, und alles würde sich von Grund auf ändern. Wahrhaftig eine frohe Botschaft! »Diese aber waren besser als die zu Thessalonich; die nahmen das Wort auf ganz willig … So glaubten nun viele von ihnen, auch nicht wenige von den angesehenen Frauen und Männern unter den Griechen.« Es ist bezeichnend, welchen Anklang Paulus’ Predigt bei den Griechen fand. Er formulierte die Geschichte vom jüdischen Heiland dergestalt, daß Menschen, die mit Dionysos, Demeter und Orpheus vertraut waren, sie annehmen und in das große Gedankengebäude von Wiederauferstehung und Wiedergeburt einordnen konnten. Selbst die Juden scheinen diese Ergänzung zur Geschichte ihres
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