Die Revolte des Koerpers
prahlerisch, pervers, selbstverliebt, kurzsichtig und dumm. Durch seine unbewußte Imitation blieb er ihm treu. Aus dem gleichen Grund verhielten sich Diktatoren wie Stalin, Mussolini, Ceausescu, Idi Amin, Saddam Hussein und so viele andere sehr ähnlich. Saddams Biographie ist ja geradezu ein Paradebeispiel der extremen Demütigung eines Kindes, für die später Abertausende als Opfer seiner Rache mit ihrem Leben bezahlen mußten. Die Weigerung, endlich aus diesen Tatsachen zu lernen, erscheint grotesk, ist aber durchaus erklärbar.
Der skrupellose Tyrann mobilisiert nämlich die verdrängten Ängste der einst geschlagenen Kinder, die ihren Vater niemals anklagen konnten, auch heute nicht können, und die ihren Vätern trotz der erlittenen Qualen die Treue halten. Jeder Tyrann versinnbildlicht diesen Vater, an dem man mit allen Fäden hängt, in der Hoffnung, ihn einmal, mit Hilfe der eigenen Blindheit, in einen liebenden Menschen verwandeln zu können.
Diese Hoffnung mag die Vertreter der katholischen Kirche dazu bewogen haben, Mitleid für Hussein zu demonstrieren. Ich hatte einige Kardinäle vor zwei Jahren um Unterstützung ersucht, als ich dem Vatikan das Material über Spätschäden des Kinderschlagens vorlegte und umeine diesbezügliche Aufklärung bei den jungen Eltern bat. Es gelang mir, wie gesagt, bei keinem der Kardinäle, die ich angeschrieben hatte, eine Spur von Interesse für das weltweit ignorierte, aber brennende Problem der geschlagenen Kinder zu wecken. Auch nicht das geringste Zeichen der christlichen Barmherzigkeit kam zum Vorschein. Sie zeigen aber heute unmißverständlich, daß sie zwar des Erbarmens fähig sind, aber bezeichnenderweise weder für mißhandelte Kinder noch für Saddams Opfer, sondern für ihn selbst, für eine skrupellose Vaterfigur, die der gefürchtete Despot symbolisiert.
Geschlagene, gequälte, gedemütigte Kinder, denen kein Helfender Zeuge jemals beistand, entwickeln in der Regel später eine große Toleranz für die Grausamkeiten der Elternfiguren und offenbar eine auffallende Gleichgültigkeit, was das Leiden mißhandelter Kinder betrifft. Daß sie einst selber zu ihnen gehörten, wollen sie auf keinen Fall wissen, und die Gleichgültigkeit schützt sie davor, die Augen zu öffnen. So werden sie zu Anwälten des Bösen, auch wenn sie noch so sehr von ihren humanen Absichten überzeugt sind. Von klein auf mußten sie lernen, ihre wahren Gefühle zu unterdrücken und zu ignorieren; sie mußten lernen, sich nicht diesen Gefühlen, sondern einzig den Vorschriften der Eltern, Lehrer und kirchlichen Autoritäten anzuvertrauen. Nun lassen ihnen ihre Aufgaben des Erwachsenen keine Zeit für das Wahrnehmen ihrer eigenen Gefühle mehr übrig. Es sei denn, diese passen genau in das patriarchalische Wertsystem, in dem sie leben: wie das Mitleid mit dem Vater, sei er noch so destruktiv und gefährlich. Je umfangreicher die Verbrechen eines Tyrannen, desto mehr kann er offenbar auf Toleranz zählen, solange seinen Bewunderern der Zugang zum Leiden ihrer eigenen Kindheit hermetisch verschlossen bleibt.
II.1 Die Selbstverständlichkeit
der Kindermißhandlung
Seit einigen Jahren lese ich die Berichte in den Ourchildhood-Foren im Internet und mache oft die gleiche Erfahrung: Die meisten Neuankömmlinge schreiben, daß sie bereits viel im Forum gelesen hätten und Zweifel haben, ob sie am richtigen Ort seien, weil sie eigentlich keine Mißhandlungen als Kinder erlitten hätten und hier von so schrecklichen Leiden erfahren. Sie wären zwar hier und da geschlagen, mißachtet oder anders erniedrigt worden, aber sie hätten niemals in dem Maße leiden müssen wie viele Forumsteilnehmer, die hier schrieben. Doch mit der Zeit berichten auch diese Menschen über empörendes Verhalten ihrer Eltern, das ohne Vorbehalte als Mißhandlung bezeichnet werden kann und von den anderen auch so empfunden wird. Aber sie selbst brauchen eine gewisse Zeit, um ihr Leiden aus der Kindheit zu spüren, und dank des Mitgefühls der Forumsteilnehmer können sie langsam ihre Gefühle zulassen.
Dieses Phänomen spiegelt die Haltung der ganzen Weltbevölkerung den Kindermißhandlungen gegenüber. Sie werden höchstens als ungewollte Verfehlungen bezeichnet, ausgeübt durch Eltern, die die besten Vorsätze hätten, aber mit der Erziehung überfordert seien. Im gleichen Atemzug werden Arbeitslosigkeit oder Überarbeitung als Ursachen dafür benannt, daß dem Vater die Hand ausrutscht, und die Spannungen in
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