Die Revolte des Koerpers
unverfroren ihre Brüste berührt. Zugleich war dieser Onkel der einzige Mensch, der dem Kind Aufmerksamkeit zukommen ließ und sich bei seinen Besuchen mit ihm beschäftigte. Kein Mensch hatte sie in Schutz genommen, und die Eltern sagten, als sie sich beklagte, sie solle ihm das nicht erlauben. Sie nahmen sie nicht in Schutz, sondern bürdeten dem Kind die Verantwortung auf. Nun litt der Onkel an Krebs, und Paula wollte ihn nicht besuchen, weil sie wütend auf diesen alten Mann war. Aber ihre Therapeutin meinte, sie würde sich später ihre Weigerung übelnehmen und sie brauche doch nicht die Familie jetzt zu verärgern, das würde ihr gar nichts nützen. So ist Paula hingegangen und hat ihre echten Gefühle der Empörung unterdrückt. Bald nach dem Tod des Onkels entstand aus der Erinnerung an diese Belästigungen etwas völlig anderes. Nun fühlte sie sogar Liebe für den verstorbenen Onkel. Die Therapeutin war mit ihr zufrieden, sie mit sich auch, die Liebe hat sie angeblich von ihrem Haß und von ihren Allergien geheilt. Doch plötzlich entwickelte sie ein starkes Asthma, sie litt unter Atemnot und konnte diese Erkrankung gar nicht verstehen, denn sie fühlte sich rein, hat ja dem Onkel vergeben können und würde ihm nichts nachtragen. Warum also diese Bestrafung? Sie hielt den Ausbruch der Krankheit für eine Bestrafung für ihre früheren Gefühle von Zorn und Empörung. Schließlich hat sie ein Buch von mir gelesen, und die Erkrankung war der Anlaß für sie, mir zu schreiben. Das Asthma verschwand, sobald sie ihre »Liebe« für den Onkel aufgeben konnte. Dies ist ein Beispiel für Gehorsam statt Liebe.
Eine andere Frau war erstaunt, daß sie nach einigen Jahren der Psychoanalyse Schmerzen in den Beinen hatte, für die die Arzte keine Ursache finden konnten, so daß psychische Gründe für sie immerhin in Frage kamen. In der Analyse arbeitete sie seit Jahren an ihrer angeblichen Phantasie, daß sie vom Vater sexuell mißbraucht worden war. Sie wollte so gerne dem Analytiker glauben, daß es sich nur um Einbildungen und nicht um Erinnerungen an reale Vorgänge handelte. Aber all diese Spekulationen halfen ihr nicht, zu begreifen, weshalb sie solche Schmerzen in den Beinen hatte. Als sie schließlich die Behandlung abbrach, verschwanden zu ihrem großen Erstaunen ihre Schmerzen. Sie waren ein Signal für sie, daß sie sich da in einer Welt befand, aus der sie keinen Schritt machen konnte. Sie wollte dem Analytiker und seinen irreführenden Deutungen davonlaufen und wagte es nicht zu tun. So haben die Schmerzen in den Beinen das Bedürfnis zu fliehen eine Zeitlang blockieren können, bis sie den Entschluß faßte, diese Analyse abzubrechen und von ihr keine Hilfe mehr zu erwarten.
Die Bindung an die Elternfiguren, die ich hier zu beschreiben versuche, ist die Bindung an mißhandelnde Eltern, die uns daran hindert, uns selber zu helfen. Die einst unerfüllten natürlichen Bedürfnisse des Kindes übertragen wir später auf Therapeuten, Partner und unsere eigenen Kinder. Wir können nicht glauben, daß sie von den Eltern tatsächlich ignoriert oder sogar torpediert wurden, so daß wir sie verdrängen mußten. Wir hoffen, daß jetzt die anderen Menschen, mit denen wir in Beziehungen treten, unseren Anliegen endlich nachkommen, uns verstehen, unterstützen, respektieren und uns die schweren Entscheidungen des Lebens abnehmen werden. Da sich diese Erwartungen aus der Verleugnung der Kindheitsrealität nähren, können wir sie nicht aufgeben. Nicht durch einen Willensakt, wie ich oben sagte. Aber sie verschwinden mit der Zeit, wenn wir den Willen haben, uns unserer Wahrheit zu stellen. Dies ist nicht einfach, es ist wohl meistens mit Schmerzen verbunden, aber es ist möglich.
Man kann in den Foren oft beobachten, daß manche Menschen verärgert sind, wenn jemand aus der Gruppe mit Empörung auf die Taten ihrer Eltern reagiert, obwohl er diese Eltern gar nicht kannte, sondern seine Empörung dem gilt, was er vom Betreffenden gehört hat. Aber es ist etwas anderes, sich über die Taten der Eltern zu beklagen, als die Fakten voll und ganz ernst zu nehmen. Das Letztere weckt die Angst des kleinen Kindes vor der Strafe, daher ziehen es viele vor, ihre frühesten Wahrnehmungen in der Verdrängung zu belassen, die Wahrheit nicht zu sehen, die Taten zu beschönigen und sich mit der Idee der Vergebung zu arrangieren. So bleiben sie weiter in der kindlichen Erwartungshaltung gefangen.
Ich habe meine erste Analyse im
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