Die Ritter der vierzig Inseln - Rycari Soroka Ostrovov
Moment verstand ich nicht, von wem sie sprach, doch dann wurde mir schlagartig klar, wen das Mädchen gemeint hatte: Ich sollte sterben? Schwachsinn! All meine Kraft zusammennehmend, öffnete ich die Augen.
Unter mir war Sand, weicher, heißer Sand. Über mir spannte sich ein azurblauer, wolkenloser Himmel, in dessen Wölbung wie gemalt eine gelbe Sonnenscheibe hing. In dieses Bild ragten die über mich gebeugten Körper von Jungen und Mädchen, die ich nicht kannte. Eines der Mädchen hielt seine feuchte Hand an meine Stirn, schaute mir in die Augen und strahlte über das ganze Gesicht.
»Es geht dir schon besser, nicht wahr?«, hauchte sie.
»Jaja«, erwiderte ich reflexartig.
Das alles war zu viel für mich. Zuerst so ein langweiliger Tag, der sich zäh wie Kaugummi hinzieht, dann fällst du plötzlich vom Himmel und schlägst auf irgendeiner Insel auf … Mich packte die blanke Angst: Wie um Himmels willen war ich hierhergekommen? Schließlich
hatte ich gerade eben noch am Eingang des Stadtparks vor einem schwitzenden Fotografen gestanden, der sein Objektiv auf mich richtete.
Ich hätte wirklich allen Grund gehabt, in Panik auszubrechen. Doch als ich die Jungen und Mädchen um mich herum misstrauisch musterte, bemerkte ich, dass sie mich alle unverhohlen angrinsten. Nicht unbedingt höhnisch, aber trotzdem … Es war ein wissendes Grinsen! Sie wussten, was hier gespielt wird! Also würde ich es auch erfahren. Meine Angst war im Nu verflogen. Ich stand auf und sah mich um, ohne die anderen weiter zu beachten.
Die Insel war wirklich klein. Und dann noch der See in der Mitte! Das Ganze sah aus wie eine Art rosa Kringel. Ein höchstens achthundert Meter breiter Ring aus feinem Sand. An manchen Stellen ragten spitze Steine und knorrige Korallenbäumchen aus dem Sand. Nicht auszudenken, was passiert wäre, wenn ich auf einem dieser Gebilde gelandet wäre. Der Gedanke daran jagte mir einen Schauer über den Rücken - einen Schauer der angenehmen Art, wie er sich einstellt, wenn man knapp am Unglück vorbeigeschrammt ist.
An einem Ende der Insel erhob sich ein flacher Sandhügel, der mit ein paar kargen Büschen und welkem Gras bewachsen war. Ich drehte mich um, um den Rest zu inspizieren, und traute meinen Augen nicht: Etwa vierzig Meter von mir entfernt erhob sich eine Burg aus dem Sand. Eine kleine, hübsche Burg, die sich dicht ans Ufer schmiegte und über das Wasser ragte. Sie hatte alles, was zu einer richtigen Burg gehört: hohe Mauern aus rosa Marmor, einen zehn bis fünfzehn Meter hohen Wachturm, schmale Schießscharten und ein graues Eisentor.
Und als wäre das noch nicht erstaunlich genug, spannten sich von den drei dem Meer zugewandten Seiten der Burg schmale, rosafarbene Brückenbögen über das Meer. An ihrem Scheitelpunkt erhob sich jede dieser Brücken in schwindelerregende Höhen, um sich am anderen Ende auf eine in der Ferne liegende Insel herabzusenken, wo sie an eben solch einer Burg verankert war. Es war ein wirklich hübscher Anblick, der mich in jenem Moment allerdings wenig interessierte, genauso wenig wie die Frage, wie es möglich war, auf einer gottverlassenen Insel im Meer so eine Burg und solche Brücken zu erbauen. Vielmehr ärgerte ich mich maßlos darüber, dass ich beim Herunterfallen nichts von alledem gesehen hatte und jetzt mit offenem Mund und wie ein Vollidiot dastand.
»Was glotzt ihr mich so an?«, fuhr ich die umstehenden Jungen und Mädchen barsch an. »Bin ich hier im Zoo, oder was?«
Sie zeigten sich von meiner Grobheit ungerührt.
Der Älteste von ihnen, dem Äußeren nach zu schließen etwa siebzehn Jahre alt, also drei Jahre älter als ich, sagte: »Respekt, du hast ja überhaupt keine Angst«, und begrüßte mich mit Handschlag. »Ich heiße Chris.«
»Dima«, brummte ich.
Alle um mich herum waren sonnengegerbt und braun gebrannt, was angesichts ihrer spärlichen Bekleidung und der gnadenlos vom Himmel sengenden Sonne nicht weiter verwunderlich war. Die Jungen trugen einfach Badehosen oder unverkennbar selbst abgeschnittene kurze Hosen mit ausgefranstem Saum. Nur zwei von ihnen hatten noch schlabberige T-Shirts an. Die jüngeren Mädchen trugen auch Shorts und Hemdchen, nur die Älteste, deren Stimme ich als Erstes vernommen hatte,
als ich das Bewusstsein wiedererlangte, hatte ein kurzes, verblichenes Kleid an. Am ordentlichsten sah noch Chris aus, der kurze Jeans und ein schwarzes T-Shirt trug. Allerdings hatte er, wie die anderen Jungen auch, lange Haare, die
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