Die Ritter der vierzig Inseln - Rycari Soroka Ostrovov
sondern irgendwo auf einem anderen Planeten.«
Mir stockte das Blut in den Adern. Ich war fassungslos, und zwar weniger über das, was Chris mir soeben offenbart hatte, als über die Seelenruhe, mit der er es ausgesprochen hatte. Ich konnte mich nicht beherrschen.
»Woher willst du denn das wissen?«, fragte ich herausfordernd.
»Sie haben es uns selbst gesagt.« Chris legte mir den Arm um die Schulter und fügte hinzu: »Sei nicht sauer, Dima, wir können auch nichts dafür. Ich lebe jetzt schon sieben Jahre auf dieser Insel.«
»Was?« Ich sprang auf. Sieben Jahre? Sollte das heißen, dass ich auch so lange hier bleiben musste? Und Mama und Papa, was sollten die denken? Sie würden mich doch suchen und sich ausmalen, dass ich ertrunken bin oder mir sonst was Schreckliches zugestoßen ist.
Weder Chris noch ich wussten zu jenem Zeitpunkt, dass uns zu Hause keineswegs jemand suchte und dass das, was mit uns passierte, wesentlich subtiler als eine gewöhnliche Entführung war.
»Komm mit!«, sagte Rita unvermittelt, fasste mich behutsam an der Hand und zog mich mit sich fort.
Willenlos folgte ich ihr. Auch Chris schloss sich uns an, während die anderen im Thronsaal blieben.
Die beiden sind wohl die Chefs hier, dachte ich. Da fiel mir plötzlich noch etwas anderes ein, das mir unter den Nägeln brannte.
»Chris, warum hast du so einen komischen Namen?«, fragte ich.
»Das ist kein komischer, sondern ein englischer Name«, erwiderte Chris etwas betreten. »Ich bin eben Engländer.«
Das gab mir den Rest. Jetzt war ich so weit, alles zu glauben, was mir hier erzählt wurde.
»Wir haben auch einen Janusch aus Polen hier«, erläuterte Rita mit ruhiger Stimme. »Alle anderen sind aus Russland wie wir. Und jeden Monat taucht irgendein Neuer auf. Nur normalerweise werden die Neuen nicht von so weit oben abgeworfen. Du bist ja aus fast zehn Metern Höhe auf den Sand geknallt. Ich habe schon befürchtet, dass du das nicht überlebst, aber anscheinend hältst du ganz schön was aus.«
Rita und Chris führten mich in eine kleine Kammer, in der zwei Betten standen. An einer Wand hingen zwei gekreuzte Schwerter. Zuerst dachte ich, sie wären echt und nur etwas ungewöhnlich gefärbt, doch dann erkannte ich, dass es sich um Spielzeugschwerter aus Holz handelte. Immerhin waren sie sehr kunstvoll gemacht. Kein Vergleich zu den stümperhaft zurechtgeschnitzten Stöcken, die meine Freunde und ich früher beim Ritterspielen als Schwerter benutzt hatten.
»Leg dich hin und schlaf dich aus«, sagte Chris fürsorglich. »Morgen erklären wir dir alles ganz genau, und du kannst die Burg besichtigen.«
Ich war tatsächlich müde, und zumindest für den Moment wollte ich nichts anderes, als alles um mich herum vergessen. Eine Sache musste ich aber unbedingt vorher noch klären.
»Chris, kann man von hier nicht mehr nach Hause zurück? Ist das … für immer?«, fragte ich, und Angstschweiß trat mir auf die Stirn.
Er zögerte einen Moment, der mir wie eine Ewigkeit vorkam. Dann sprach er zum Glück genau das aus, was ich hören wollte: »Man kann zurückkehren, Dima. Aber es ist sehr schwierig.«
Egal. Ich würde auf jeden Fall zurückkehren. Ganz sicher!
In der Kammer waren keine Bettdecken vorhanden. Sie wären auch vollkommen überflüssig gewesen bei so einer Hitze. Ich zog die dünne Tagesdecke von meinem Bett, legte mich auf das kalte, weiße Leintuch und schlief schon nach wenigen Minuten ein.
Als ich am nächsten Morgen die Augen öffnete, wusste ich sofort wieder, wo ich war, und mir klangen noch Chris’ letzte Worte in den Ohren: Man kann zurückkehren! Auf dem Bett neben mir lag Maljok. Kaum hatte ich mich aufgesetzt, sprang auch er auf. Wahrscheinlich hatte er schon lange nicht mehr geschlafen und nur darauf gewartet, dass ich aufwachte. Etwas schüchtern lächelten wir uns zu. Er war wirklich noch sehr klein. Das eine oder andere würde ich aber sicher auch von ihm in Erfahrung bringen können.
»Maljok, wo sind die anderen alle?«
»Auf den Brücken«, antwortete er bereitwillig. »Und die Mädchen machen das Mittagessen.«
»Und du?«
»Ich sollte bei dir bleiben«, erwiderte er etwas verlegen, »dir alles zeigen und vom Großen Spiel erzählen.«
So hörte ich also zum ersten Mal vom Großen Spiel. Natürlich fragte ich ihn sofort, was es damit auf sich hat.
Maljok verzog fast ein wenig ärgerlich das Gesicht über meine Frage. »Ach, das Große Spiel«, begann er mit
einem Seufzer, als spräche er
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