Die rote Agenda
Frau gefolgt ist, wenn Sie nicht wollen, dass ich
ihm ein Loch in den Kopf schieße.«
»Aber –«,
rief Trapani verblüfft aus.
Ogden
unterbrach ihn. »Von jetzt an steht die Signora unter unserem Schutz. Wenn ihr
etwas zustößt, und sollte sie nur Kopfschmerzen bekommen, ist Lorenzo Malacrida
ein toter Mann. Habe ich mich deutlich ausgedrückt?«
Trapani,
der sich von der Überraschung erholt hatte, lachte gezwungen. »Für wen halten
Sie mich?«
»Für einen
Mafioso, ganz einfach.«
Der Pate
ging nicht auf die Provokation ein. »Meine Frau kann tun, was sie will, sie
kann sich auch scheiden lassen«, sagte er und bemühte sich, einen gelassenen
Ton zu bewahren.
»Umso
besser!«, fuhr der Agent fort. »Und jetzt rufen Sie Ihren picciotto zurück, ich könnte die Geduld verlieren.«
Der Mann,
der einen Ohrhörer trug, erhielt aus dem Dachgeschoss den Befehl, sich
zurückzuziehen. Er sah Ogden herausfordernd an. »Mach die Handschellen ab!«,
zischte er und rüttelte hinter dem Rücken daran.
»Hau ab!«,
sagte der Agent nur. Mit einem wütenden Grunzen gehorchte der Mann und
verschwand im Inneren des Palazzo.
[407] Ogden
wartete einen Augenblick, hob dann die Pistole des Mafioso vom Boden auf und
stieg wieder in den Wagen.
Betta, die
die Szene verfolgt und bei geöffneten Wagenfenstern das Telefongespräch mit
angehört hatte, wurde immer verwirrter und fürchtete, vom Regen in die Traufe
gekommen zu sein. Waren diese Männer, die ihr halfen und die teils Englisch,
teils Italienisch sprachen, wirklich von der Polizei? Wem hatten sie gedroht – Lorenzo? Glaubten sie auch, dass er etwas mit dem Anschlag zu tun hatte?
Bedeutete das, was sie gesagt hatten, dass er sie auch hätte töten können? Wenn
es so war, warum verhafteten sie ihn dann nicht? Sie hatte das Gefühl, ihr
platze der Kopf, und ohne dass sie es selbst bemerkt hätte, liefen ihr Tränen
über die Wangen.
Ogden sah
es und sagte ruhig zu ihr: »Ich versichere Ihnen, Sie haben nichts mehr zu
befürchten. Am wenigsten von Ihrem Mann.«
»Ich habe
gehört, was Sie am Telefon gesagt haben…«, murmelte Betta, doch sie konnte den
Satz nicht beenden.
Stuart, der
neben Franz saß, wandte sich um und blickte sie freundlich an. »Wir bringen Sie
jetzt zum Hotel und, wenn Sie wollen, zum Flughafen.«
Betta
nickte, schwieg eine Weile, schaute dann erneut hoch und sah Ogden fest in die
Augen. »Wer ist Trapani?«
»Ein
Mafioso. Sie werden nichts mehr von ihm hören.«
»Und
Lorenzo?«, hakte Betta ängstlich nach – die Wahrheit begann ihr zu dämmern.
Ogden
schüttelte den Kopf, nahm ihre Hand und drückte sie. »Glauben Sie mir, Sie
haben nichts mehr zu befürchten.«
[408] Sie sah
ihn lange an, sie war erschöpft, und ihr Blick wurde flehend. »Mein Mann… wie
konnte er nur…«, doch ein Schluchzen hinderte sie daran weiterzusprechen, und
der Satz blieb unvollendet. Betta lehnte den Kopf zurück, schloss die Augen und
weinte still vor sich hin.
Ogden
kannte solche Tränen. Vorsichtig zog er seine Hand von der Bettas und wählte
eine Nummer auf seinem Handy. Verena meldete sich, froh, seine Stimme zu hören,
und auch er fühlte sich erleichtert. Es war, als hätte sie ihm wegen dieser
kleinen Geste schon alle Unannehmlichkeiten der letzten Tage und Wochen
verziehen.
Foto: Copyright © Johnny Ricci
LIATY PISANI, geboren 1950 in
Mailand, ist Verfasserin zahlreicher Lyrik- und Prosawerke. Von Ambler,
Chandler und Le Carré, aber auch von Nabokov beeinflusst, wagte sie sich auf
ein gefährliches Terrain: die Welt der Spionageliteratur. Mit ihren
Ogden-Romanen hat sie sich auch diesseits der Alpen einen Namen gemacht. Sie
lebt und arbeitet im Tessin.
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