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Die rote Antilope

Die rote Antilope

Titel: Die rote Antilope Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henning Mankell
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kannst.

    Aber Daniel verstand. Einsam sein, das hieß, ohne sein. Wie konnte Vater sagen, er wüßte nicht, was Einsamkeit ist? Er, der die Kunst würde lernen müssen, auf dem Wasser zu gehen, um die Menschen wiederzufinden, welche die wichtigsten in seinem Leben waren?

    Es hatte geregnet. Sie gingen eine gepflasterte Straße entlang zu dem Gasthof. Daniel hielt Vater für gewöhnlich an der Hand. Aber jetzt wollte er nicht. Außerdem schien es, als ob Vater nichts daran läge. Daniel schielte zu ihm hinüber. Er denkt an die Frau mit den schmalen Händen, stellte Daniel fest. Ihm kam es so vor, als könnte er sie in Vaters Augen sehen.

    Der Speisesaal des Gasthofs war leer. Aber ein Tisch war gedeckt. Daniel merkte, daß er gar nicht hungrig war. Der Knoten in seinem Bauch ließ keinen Platz fürs Essen. Er dachte an den Löwen und daran, daß Vater eine Geschichte über ihn erzählt hatte, die nicht wahr war.

    - Warum ißt du nicht?
    Vater sah ihn streng an. Seine Augen waren blank, da er während der Mahlzeit schon so einige Gläser getrunken hatte.
    - Ich bin nicht hungrig.
    - Bist du krank?

    - Nein.
    - Dein Ton gefällt mir nicht. Du antwortest mir, als wolltest du nicht mit mir reden.
    Daniel sagte nichts.
    - Man kann nicht immer alles genau so erzählen, wie es wirklich war, sagte Vater. Mag sein, daß es keinen Löwen gab. Aber ihr hat es gefallen. Sie wird darüber schreiben. Und vielleicht trägt es auch dazu bei, daß sie mich mag.
    Vater leerte sein Glas, schüttelte den Kopf und sah ihn an.

    - Verstehst du, was ich meine?
    Daniel nickte. Er verstand nicht. Aber es kam nur selten vor, daß Vater sich nicht damit begnügte, wenn er nickte.

    - Eine sehr schöne Frau, sagte Vater. Unverheiratet. Möglicherweise radikal. Aber das gibt sich normalerweise. Ich muß darüber nachdenken, wie es weitergehen soll.
    Ich auch, sagte Daniel still zu sich selbst.

    Als Vater eingeschlafen war, stand Daniel auf, zog sich an und verschwand leise durch die Tür. Ein einsamer Hund bellte, als er auf der verlassenen Straße hinunter zum Kai lief, wo sie an Land gegangen waren. Es war sternklar, und der Mond schien. Daniel kletterte seitlich am Holzkai hinunter und zog die Schuhe aus. Er haßte sie nach wie vor. Jedesmal, wenn er in die Nähe des Wassers kam, packte ihn die Lust, sie so weit wie möglich hinaus in die Dunkelheit zu werfen. Er würde Steine hineinstopfen, damit sie versanken. Das Wasser roch brackig. Irgendwo weiter draußen sprang ein Fisch in die Höhe. Der Hund hörte nicht auf zu bellen. Daniel krempelte die Hosenbeine hoch und stellte vorsichtig einen Fuß auf die Wasseroberfläche. Als er den Druck verstärkte, zerbrach das Wasser. Er probierte es mit dem anderen Fuß. Die Wasseroberfläche zerbarst. Ich kann es nicht, dachte er wütend. Irgendwas mache ich falsch. Er schloß die Augen und versuchte Kiko oder Be zu sich zu locken. Er mußte sie fragen, wie er es anstellen sollte. Aber die Wüste, die er in sich trug, war leer. Auch dort schien der Mond. Er rief erst nach Kiko, dann nach Be. Aber alles, was zurückkam, war ein Echo.
    Er versuchte noch einmal, das Wasser zum Gehorchen zu bringen. Erst strich er mit der Hand über das nasse Fell. Dann stellte er den Fuß darauf. Aber das Wasser zerbrach, der Fellrücken zuckte.
    Er fing an zu weinen. Langsam sickerten die Tränen über seine Wangen. Er strich sie weg und tauchte die Hände ins Wasser. Vielleicht würde das helfen. Aber das Wasser weigerte sich auch in dieser Nacht, ihn zu tragen.

    Als er zurückkam und vorsichtig die Tür öffnete, war Vater wach. Er hatte eine Petroleumlampe angezündet und saß aufrecht im Bett.
    - Ich bin davon aufgewacht, daß du nicht da warst, sagte er. Wo warst du?
    - Ich war draußen, sagte Daniel.

    - Das ist keine Antwort. Begreifst du nicht, daß ich mir Sorgen mache?
    - Ich mußte pinkeln. Vater sah auf seine Uhr.

    - Du bist fast eine Stunde lang weg gewesen. Also lügst du.
    - Ich habe zweimal gepinkelt.

    - Eigentlich sollte ich dich schlagen, sagte Vater. Wenn das noch einmal passiert, muß ich dich wieder festbinden. Was hast du gemacht?

    Daniel dachte, er sollte sagen, wie es war. Aber irgend etwas sträubte sich, etwas warnte ihn. Vater würde es nicht verstehen. Schlimmstenfalls würde er wieder damit anfangen, ihn festzubinden.
    - Ich bin nach draußen gegangen, um den Mond anzusehen, sagte er. Ich wußte nicht, daß ich das nicht tun darf.
    Ich heiße Daniel. Ich glaube an Gott. Ich bitte um

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