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Die rote Antilope

Die rote Antilope

Titel: Die rote Antilope Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henning Mankell
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daß es sein verzweifeltes Verlangen gewesen sei, als Vater ihm mitteilte, nun sei für ihn die Zeit gekommen, mit den eingesammelten Insekten zurückzukehren.
    Aber an dem, was Vater erzählte, war doch kein wahres Wort? Daniel überlegte, ob er von einem anderen Jungen sprach, der ihm früher übers Meer gefolgt war. Einer, den es jetzt nicht mehr gab, von dem Vater nie erzählt hatte? Aber das konnte nicht stimmen. Er selbst war es, von dem Vater sprach, und was die Frau in ihr Notizbuch schrieb, war Lüge.

    Vater log.
    Er erfand eine Geschichte, die einfach nicht wahr war.

    Daniel saß auf dem Fußboden, und ihn überkam eine heftige Lust loszuschreien. So war es nicht, es ist nicht auf diese Weise zugegangen. Ich habe noch nie einen Löwen gesehen. Aber er blieb stumm. Er konnte nicht schreien, weil er nicht verstand, warum Vater auf eine Weise von ihm erzählte, die nicht wahr war. Was er über die Insekten gesagt hatte, war richtig. Da gab es keine Einzelheit, die nicht stimmte.
    Vater kam zum Ende und wischte sich mit einem Taschentuch den Schweiß von der Stirn. Daniel kroch vorsichtig wieder hinaus ins Vorzimmer. Dort fing er an, seilzuhüpfen, wütend, er stampfte so fest er konnte mit den Füßen auf den Steinboden. Die Alte saß immer noch da und schlief. Plötzlich schlug sie die Augen auf und starrte ihn an. Aber sie glaubte nicht, was sie sah, und schlief wieder ein. Vater kam zu ihm hinaus.
    - Hast du nicht gehört, daß ich gerufen habe? fragte er. Habe ich dir nicht gesagt, du sollst leise hüpfen?

    Daniel antwortete nicht.
    - Sie will mit dir reden. Ich habe schon das meiste erzählt. Sag nur, wie du heißt und daß du an Gott glaubst. Das reicht.
    Daniel folgte Vater in den Raum. Die Frau hatte zum Schreiben ihre Handschuhe abgelegt. Ihre Finger waren sehr schmal und weiß. Daniel bekam Lust, sie zu ergreifen, sich festzuhalten, so fest, daß Vater ihn nicht mehr losbekäme.

    - Ich habe deine Geschichte gehört, sagte sie und lächelte. Es war eine sehr bemerkenswerte Geschichte, die viele Leser berühren wird. Im Gegensatz zu all dem Schrecklichen, was wir über Sklaverei und Übergriffe lesen, ist dies eine Geschichte, die vom Guten handelt.

    - Güte ist notwendig, sagte Vater milde. Ohne Güte ist das Leben vergeudete Mühe.
    Die Frau sah Daniel an.

    - Ich heiße Ina, sagte sie. Kannst du meinen Namen sagen?
    - Ina.

    - Verstehst du, was für ein besonderes Erlebnis das ist? Den eigenen Namen von jemandem ausgesprochen zu hören, der einmal weit weg in einer Wüste geboren wurde?
    - Ich habe noch nie einen Löwen gesehen.
    Daniel hatte sich nicht vorbereitet. Die Worte kamen ganz von selbst. Ich habe noch nie einen Löwen gesehen. Vater runzelte die Stirn.

    - Er glaubt, Löwe sei der Name von einem schwedischen Tier, erklärte er. Vielleicht meint er einen Elch. Nicht wahr, Daniel?
    - Ich habe noch nie einen Löwen gesehen.

    - Antworte jetzt auf ihre Fragen, sagte Vater. Das Essen kann nicht ewig warten. Wir können uns nicht hungrig schlafen legen.

    Daniel war gerade dabei, zum dritten Mal Aufruhr zu machen und wieder zu sagen, er hätte noch nie einen Löwen gesehen. Aber plötzlich sah er in den Augen der Frau, daß sie schon wußte, daß das, was er gesagt hatte, wahr war.
    - Eigentlich habe ich nichts mehr zu fragen, sagte sie nach einem kurzen Schweigen. Aber vielleicht können wir es so machen, daß ich morgen nach Strängnäs komme und mir den Vortrag noch einmal anhöre. Wenn das möglich ist?

    - Sie brauchen natürlich keine Eintrittskarte zu lösen, sagte Vater. Selbstverständlich sind Sie mehr als willkommen. Vielleicht darf ich Sie dort zum Abendessen einladen? Da ist es möglicherweise weniger unpassend.
    - Wir werden sehen.

    Die Frau steckte ihr Notizbuch ein, streifte die Handschuhe über und befestigte den Hut auf ihren lockigen Haaren.

    - Es war sehr angenehm, sagte Vater. Erlauben Sie mir auch zu sagen, daß Sie eine sehr schöne Frau sind. Das kann zumindest nicht unpassend sein.

    - Sie sind ein sehr bemerkenswerter Mann, erwiderte sie und sah dabei Daniel an.

    Sie hat eine Botschaft für mich, dachte Daniel. Sie gehört zu denen, die hinter einem Felsen sitzen und mir zuflüstern.
    Vater blieb stehen und sah ihr nach, als sie den Saal verließ. Die Tür schlug zu.
    - Sie ist sehr schön, sagte er. Sobald ich sie sah, erkannte ich, daß ich einsam bin. Ich habe zwar dich. Aber diese Einsamkeit ist eine andere. Eine Einsamkeit, die du nicht verstehen

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