Die rote Antilope
begafften.
Ich möchte wissen, was sie sehen, dachte er. Nach ihren Augen zu schließen, könnte man meinen, sie sähen etwas, das sie mit Unruhe erfüllt. Nicht mit Angst, nicht mit Staunen, sondern eben mit Unruhe.
Endlich war die ganze Veranstaltung vorbei. Wickberg sprang herum und rieb sich die Hände. Seine Strümpfe waren ausgebeult von dem vielen Geld.
- Die Sache läßt sich gut an, sagte er. Morgen in Strängnäs werden wir vielleicht verlängern und zwei Tage bleiben.
- Aber keine Schlangen, sagte Vater und klappte seinen Koffer zu.
- Jedenfalls keine großen, gab Wickberg zurück und verschwand zur Tür hinaus.
Vater nickte Daniel zu.
- Heute nacht wohnen wir im Hotel, sagte er. Und jetzt wartet das Essen.
In diesem Moment öffnete sich die Tür ganz hinten im Saal, und eine Frau kam herein. Sie war in Schwarz gekleidet, trug aber einen roten Schleier um den Hut.
Als Daniel ihr Gesicht sah, wußte er sofort, daß etwas Wichtiges geschehen würde.
Aber was, darauf hatte er keine Antwort.
17
Einmal hatte Be, die gern spielte, sich ein Stück Kudufell auf den Kopf gelegt und rote Bänder ums Gesicht gebunden, damit das Fell nicht wegflog. Als Daniel die schwarz gekleidete Frau im Mittelgang zwischen den roten Plüschstühlen näher kommen sah, dachte er, sie sei von Be gesandt. Am Abend zuvor war Kiko in der Dunkelheit zugegen gewesen. Er mußte es Be erzählt haben, und jetzt war sie es, die kam, aber nicht sie selbst, sondern an ihrer statt hatte sie eine andere geschickt. Die Frau war jung, jünger als Vater und Be und Kiko. Er war sich sicher, daß sie noch keine eigenen Kinder hatte. Sie lächelte, als sie ihn ansah.
Vater hatte sich aufgerichtet, und er spreizte die Finger. Er ist genau wie Kiko, dachte Daniel. Wenn ihm eine schöne Frau über den Weg lief, spannte er die Beinmuskeln an und strich sich über die Nase. Be lachte ihn dann immer aus. Gelegentlich biß sie ihn in den Arm. Dann errötete Kiko und sagte, die Frau, die vorübergegangen sei, wäre zwar schön, hätte aber keineswegs sein Verlangen geweckt.
Vater war genauso. Etwas ging mit ihm vor, als die Frau mit dem roten Schleier ans Podium trat.
- Ich hoffe, ich störe nicht, sagte die Frau. Ich habe Ihrer Vorstellung beigewohnt, oder vielleicht sollte man es besser Vortrag nennen. Mir hat gefallen, was ich da gehört habe. Und was ich gesehen habe.
- Insekten sind zu Unrecht vernachlässigte Geschöpfe, erwiderte Vater. Sie können uns viel über das Dasein lehren. Nicht nur den Fleiß der Bienen und die Stärke der Ameisen. Es gibt Heuschrecken, die eine beachtliche List an den Tag legen. Und einen besonderen Hautflügler, der die bemerkenswerte Fähigkeit hat, sich in einen Stein zu verwandeln.
- Und der Junge, sagte die Frau und sah Daniel an, er weckt viele Gedanken.
Vater rückte sein Halstuch zurecht.
- Mein Name ist Hans Bengler, sagte er. Wie vor dem Vortrag mitgeteilt wurde. Mit wem habe ich die Ehre?
- Ina Myrén. Ich schreibe Korrespondenzen für eine der Hauptstadtzeitungen.
- Ausgezeichnet, sagte Vater. Ich hoffe, Sie sind uns wohlgesinnt?
- Eigentlich bin ich gekommen, um mehr über ihre Reise zu erfahren, sagte die Frau. Darüber, wie sie den Jungen in der Wüste gefunden haben. Ich hatte das Gefühl, daß Sie Ihre Geschichte nur in groben Zügen wiedergegeben haben.
- Ganz recht, antwortete Vater. Aber die Menschen ermüden so leicht. Man muß sich die ganze Zeit um ihre Aufmerksamkeit bemühen. Darf nicht zu weit ausholen.
- Das sollten sich die Pastoren hinter die Ohren schreiben.
Vater lachte. Daniel fand das Lachen einschmeichelnd.
- Es ist ungewöhnlich, eine Frau mit diesem Beruf zu treffen, sagte er. Früher waren die Korrespondenten immer Männer. Es hat sich also offenbar etwas getan.
- Die Frauen kämpfen um Positionen in der Gesellschaft, sagte sie. Eine alte, morsche Festung ist im Begriff zu fallen. Die Männer verbarrikadieren sich, bis auf die jungen und unerschrockenen, aber wir werden nicht aufgeben.
- Mir scheint, Sie sind radikal, Frau Myrén?
- Nicht Frau, Fräulein.
- Also Mamsell Myrén.
- Auch nicht Mamsell. Das ist Französisch und sollte hierzulande nicht gebraucht werden. Ich bin Fräulein, also unverheiratet. Und selbstversorgend.
- Sind Korrespondenzen so gut bezahlt?
- Ich bin auch noch Modistin mit sieben Angestellten.
- Hier in Mariefred? Rentiert sich das?
- Wir nähen auf Bestellung für Handelshäuser in Stockholm. Wir haben Hüte für die
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