Die rote Antilope
Entschuldigung.
Vater betrachtete ihn schweigend.
- Wie sonderbar es auch ist, vermutlich sagst du die Wahrheit, sagte er schließlich. Aber wenn du das noch einmal tust, gibt es wieder den Strick.
Daniel legte sich hinter Vaters Rücken.
Die Lampe war gelöscht.
Daniel fühlte keine Geborgenheit mehr hinter Vaters mächtigem Rücken. Jetzt war er ein Stein, der drohte auf ihn zu fallen. In seinen Träumen fand er endlich Be und Kiko wieder. Be hatte einen roten Schleier vor dem Gesicht, sie spielte wieder, und Kiko saß und schnitzte neue Pfeile. Es war, als wäre Daniel nie fort gewesen. Und er war gewachsen, er war älter geworden. Alt genug, um die erwachsenen Männer auf die Jagd zu begleiten. Er versuchte Kiko zu erklären, daß er noch immer ein Kind war. Aber Kiko hörte ihn nicht, oder er lachte nur, und Be schlug ihm spaßhaft auf den Rücken und sagte ihm, er solle mit dem Träumen aufhören. Dann schüttelte Kiko ihn am Arm, und er wurde davon wach, daß Vater über ihn gebeugt stand und sagte, es sei Zeit zum Aufstehen.
- Du hast im Traum gerufen, sagte er. Du hast Kiko gerufen.
- Kiko ist der Mann, bei dem ich aufgewachsen bin, antwortete Daniel.
- Du hast keinen anderen Vater als mich. Alles, was damals geschah, ist vorbei. Es existiert nicht mehr.
- Genausowenig, wie es einmal einen Löwen gab. Vaters Miene verfinsterte sich.
- Ich lasse das nicht zu, sagte er. Ich verlange sehr wenig von dir. Aber wenn ich sage, daß es einmal einen Löwen gab, dann gab es den auch. Dieser Löwe wird uns Geld bringen. Er wird das Publikum anlocken. Mehr als die wirklichen Löwen, die manchmal in Käfigen oder Gruben gezeigt werden.
Er hielt Daniels Hosen hoch.
- Sie sind schmutzig. Ich weiß nicht, wie du das immer fertigbringst. Wir schaffen es jetzt nicht, sie zu waschen. Erst, wenn wir nach Strängnäs kommen. Aber vorher nicht.
Daniel stand auf. Seine Beine waren schwer. Die Füße waren noch klebrig von dem brackigen Wasser. Vater stand vor dem Rasierspiegel und summte. Daniel konnte die Frau in seinen Augen sehen.
Sie nahmen dasselbe Schiff, mit dem sie am Tag zuvor gekommen waren, und fuhren weiter durch eine Förde, die sich verengte und zu einem Sund mit flachen Inseln wurde. An Bord des Schiffs befanden sich zwei Pferde. Ein Junge in Daniels Alter saß da und hielt sie an zwei Stricken. Er sah Daniel an. Aber er gaffte nicht. Daniel setzte sich neben ihn. Der Junge befühlte seine Haare und lachte. Daniel deutete auf die Pferde.
- Sie sollen geschlachtet werden, sagte der Junge. In Strängnäs bekommen sie eine Keule auf den Kopf.
- Warum?
- Sie sind alt.
- Ich habe einen Löwen gesehen, sagte Daniel. Einen Löwen, der mich weggeschleppt hat, um mich in Stücke zu reißen.
Der Junge sah Daniel forschend an.
- Das nehme ich dir nicht ab, sagte er. Ich glaube, du lügst.
- Danke, sagte Daniel und streckte ihm die Hand hin. Der Junge nahm sie. Sein Handschlag war sehr fest.
Am Nachmittag legten sie an einem Kai an, wo sie ausstiegen. Wickberg stand bereits da und erwartete sie. Aber weiter weg, hinter ein paar Holzstößen, entdeckte Daniel die Frau mit dem roten Schleier.
In diesem Moment entschied er, daß sie die Person war, der er die Wahrheit erzählen wollte. Sie würde sich anhören, was er zu sagen hatte.
18
Als sie unter dem Geschrei der Sturmmöwen den Kai betraten, kam es zwischen Wickberg und Vater sofort zum Streit. Wickberg breitete das gedruckte Plakat aus, und Vater ging in die Luft. Nicht nur eine bedrohliche Schlange mit gespaltener Zunge war darauf abgebildet, sondern auch Daniel, dargestellt als grinsender, tückischer Wilder mit Reißzähnen.
- Das ist unzulässig, schrie Vater. Verstößt gegen alle Vereinbarungen.
Wickberg schien auf diese Reaktion gefaßt.
- Aber es lockt das Publikum an. Wenn es das Publikum anlockt, bekommen Sie Prozente. So ist es vereinbart. Wenn keine Leute kommen, könnte das zur Liquidation führen.
- Wir betreiben kein Unternehmen. Dies ist eine Vortragstournee mit seriösem Inhalt.
- Was zählt schon der Inhalt, wenn keine Leute kommen? Sind sie erst da, ist die Schlange vergessen. Wenn sie den Jungen sehen, schmilzt ihnen das Herz. Sie sehen keinen Wilden, sondern einen verschreckten kleinen Negersklaven.
Vater zuckte zusammen, als hätte Wickberg ihn mit einer Nadel gestochen.
- Negersklaven?
Wickberg nahm Vater zur Seite, da die Leute auf dem Kai sich allmählich mehr für die lautstarke Auseinandersetzung
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