Die rote Halle
KüÂche befinden, sodass sie selbst kochen konnten,
wenn sie wollten.
Sie würde sich hier mit Simon eine schöne Zeit machen, und wenn sie
mit Reading Red Shoes fertig war, würden sie sich in
Kreuzberg oder Neukölln eine Wohnung suchen, und Simon würde in ihr geliebtes
altes Berlin eintauchen. Er war genau im richtigen Alter für eine der coolsten
Städte der Welt. Es gab so viel hier, was sie ihm zeigen wollte.
Janina hörte den Schlüssel in der Tür nebenan, und dann stand Simon
in der Verbindungstür.
»Mam?« Er zögerte kurz. »Hast du was dagegen, wenn ich mich gleich
bei den Bühnenleuten umsehen gehe? Matti hat gesagt, sie brauchen vielleicht
noch wen für ein Praktikum.«
»Matti?«
»Der mit den Dreads.«
»Ach so. Nein, mach nur.«
»Gehtâs dir auch echt wieder gut?«
Janina lächelte.
»Ja, gehtâs mir. Das war wirklich nur die Ãbermüdung. Ich gehe jetzt
erst mal in die Wanne.«
»Okay, na dann.«
Simon wandte sich zum Gehen.
»Ach, Simon!«
»Ja?«
»Treffen wir uns zum Abendessen? Rufst du mich an, wenn du in die
Kantine gehst?«
»Okay, mach ich. Bis dann.«
Und dann war Janina allein, und die Müdigkeit kam mit
voller Wucht. Sie zog ein zerdrücktes Snickers aus ihrer Handtasche, füllte den
Zahnputzbecher mit Leitungswasser und stellte sich an eines der beiden Fenster,
während sie aÃ.
Ihr Blick schweifte über den linken, in einem weiten Bogen
geschwungenen Flügel des Flughafens mit seinen wuchtigen Treppentürmen. Ganz
hinten, am Ende des Bogens, sah sie den leuchtend weiÃen Radarturm mit seiner
dicken Kugel obendrauf.
Janina pickte sich einen Schokokrümel vom T-Shirt, zog die Gardine
vor, sodass das Licht in ihrem Zimmer wärmer und weicher wurde. Dann legte sie
sich angezogen auf ihr frisches, weiÃes Bett. Wenigstens für zehn Minuten.
Plötzlich beugt sich jemand über sie. Meine Güte, könnt
ihr mich denn nicht einfach mal schlafen lassen?
Es ist DeeDee, die sie besorgt anblickt.
»Ist alles in Ordnung, SüÃe?«, will sie wissen.
Janina nickt. Sicher, warum auch nicht. Sie ist doch nur müde.
»Hör mal, du solltest jetzt besser aufwachen«, sagt DeeDee in
strengem Ton, »sonst â¦Â« â und zieht sich mit einer schnellen Bewegung ihr
Trickmesser durchs Gesicht.
Sie lächelt, ihre Wange klafft auf, und dahinter sieht Janina die
beiden Reihen ihrer feucht glitzernden Backenzähne.
Und dann rammt sie sich das Messer ins Auge.
Janina wachte davon auf, dass sie Luft in ihre Lungen sog,
wie eine Ertrinkende, warme, dunkle Luft, die nach nassem Staub und frisch
gewischtem Stein, nach Kartoffeln, Fleisch und Bohnen roch, so wie es bei ihrer
Oma immer gerochen hatte. Eigentümlich gediegen und alt. Gehörte das jetzt auch
noch zu dem Traum? Wo war sie, warum war es dunkel? Janina lag vollkommen
still, suchte nach einem Anhaltspunkt, nach einer Information. Ihre Hände
fuhren über ihren Körper. Sie trug StraÃenkleidung. Sie lag auf einem Bett. Ein
Hotelbett. Berlin.
»Simon?«
Janina lauschte.
»Bist du da?«
Warum hatte er sie nicht geweckt, sie wollten doch zusammen zu Abend
essen. Und warum träumte sie von DeeDee?
Janina tastete nach der Nachttischlampe, die einen kleinen, gelben
Kreis in ihr Zimmer warf. Das Handy behauptete, es sei drei Uhr morgens. Hatte
sie so lange durchgeschlafen, mehr als neun Stunden? Sie fühlte sich steif und
schmutzig, und ihr Magen knurrte. Der Geruch nach Essen hatte nicht zum Traum
gehört, er hing immer noch in der Luft, und auf dem flachen Glastisch fand
Janina einen Teller mit einer Roulade, kalten Kartoffeln und â tatsächlich â
grünen Bohnen. Daneben ein Zettel.
Hey Mam !
Wann war es eigentlich zum letzten Mal Liebe Mama gewesen?
Wollte Dich nicht wecken.
Oder wolltest du mich nicht sehen?
Ich bin zu den Bühnenleuten umgezogen, erster
Stock. Die sind nett und passen auf mich auf, okay? Ulli vom KBB weià Bescheid.
Nein, nicht okay! Wir sind doch noch nicht mal richtig hier
angekommen.
Wir sehen uns beim Frühstück. Schlaf schön!
Simon.
Janina seufzte. Doch, es war okay. Natürlich war es das. Wenn ihr
Sohn in einem Theaterteam bestehen wollte, konnte er unmöglich am Rockzipfel
seiner Mutter hängen. Sie selbst hatte von ihrer Oma als Kind und auch als
junge Frau noch so viel Behütung
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