Die rote Schleife
richtig ist?“ Maximilian ballte die Fäuste in seinen Taschen. Jetzt musste er einstecken und Lydia ihren Frust gewähren. Lydia zuckte mit den Schultern. Sie wollte etwas sagen, aber über ihre Lippen kam nur ein gequältes Ächzen.
„Lässt du einen Test machen?“
„Habe ich eine andere Wahl?“ Lydia klang resigniert.
„Natürlich hast du eine andere Wahl. Du kannst es seinlassen und in der Unsicherheit leben. Zwingen kann dich keiner. Aber ich könnte es nicht verstehen. Jedenfalls jetzt nicht, wo ich selbst HIV-positiv bin.“
„Also gut, wenn du es unbedingt wissen willst: Ich werde mich testen lassen. Es bleibt immer noch offen, wer wen angesteckt hat. Aber wenn du positiv bist, kann es ja sein, dass ich es allein deshalb auch schon bin.“ Maximilian biss die Zähne aufeinander. Am liebsten hätte er Lydia angegiftet, sie zur Schnecke gemacht und ihr die Schuld an allem gegeben. Warum versuchte sie, ihn dafür verantwortlich zu machen?
„Du kannst es drehen und wenden, wie du willst, am Ende wirst du einsehen, dass ich Recht habe. Versuch dich mal zu erinnern, ob du im letzten Jahr mal so ’ne richtig fiese Grippe oder Mandelentzündung hattest. Denn häufig beginnt die Infektion genau damit.“
Ohne es zu merken, hatten sie den Turm erreicht. Die Tür war verriegelt und sosehr Maximilian auch daran rüttelte, sie öffnete sich nicht.
„Komm hier lang.“ Lydia war um den Turm herum gegangen und starrte die in die Mauern eingelassenen Metallstufen an. „Wir können hier hochklettern.“ Lydia hielt sich an der Stufe, die sich in Augenhöhe befand, fest und hangelte sich langsam hoch. Maximilian erklomm die Stufen und folgte ihr. Wie hoch das wohl ging? Er schätzte den Turm auf gute zehn Meter. Maximilian wagte einen vorsichtigen Blick über seine Schulter und bereute ihn zugleich. Sein Kopf begann zu kreisen, alles um ihn herum drehte sich plötzlich.
Er kniff die Augen zuund klammerte sich mit aller Kraft an die Stufen.
„Was ist, wo bleibst du?“ Lydia hatte den Turm schon komplett erstiegen.
„Kann gerade nicht weiter, mir ist total schlecht!“
„Bist wohl nicht schwindelfrei.“
„Hilf mir lieber irgendwie rauf.“
„Du musst aber noch ein paar Stufen hoch. Ich lass dir meinen Gürtel runter.“ Maximilian konzentrierte sich auf seine Atmung, tastete mit seiner Hand nach der nächsten kalten Stufe und zog sich weiter hoch. Schließlich bekam er den Gürtel zu fassen und mit Lydias Unterstützung ließ er sich über die Mauer auf die Aussichtsplattform fallen. Sein Körper war schweißgebadet.
„Keine Ahnung, wie wir wieder runterkommen“, keuchte Maximilian.
„Ich glaub, jetzt weiß ich es!“
Maximilian stemmte sich auf seine Beine und kam wankend zum Stehen. „Was weißt du?“
„Ich hatte tatsächlich eine richtig fiese Mandelentzündung, ist aber fast ein Jahr her. Die hat einige Wochen gedauert und ich habe zwei verschiedene Antibiotika vom Hausarzt bekommen. Irgendwie wollte nichts helfen. Schreckliche Halsschmerzen und Lymphknoten am Nacken und in der Achselregion.“
Maximilian lehnte sich an die Mauer und blickte in die Ferne. Nach und nach schien sich alles zu erklären. Erst Lydia, dann er. Dorothee hatte keinerlei Symptome gezeigt. War das ein gutes Zeichen? Oder konnte die HIV-Infektion auch ohne jegliche Symptome ablaufen? Ach, erwusste immer noch so wenig über diese Erkrankung.
„Bitte, das muss unter uns bleiben.“
„Hatte nicht vor, es mit dem Megaphon in der Stadt auszuposaunen. Würde mir irgendwie auch schaden, meinst du nicht?“
„Wem hast du bisher davon erzählt?“, fragte Lydia.
„Nur meinen Eltern und Dorothee.“
„Dorothee ist deine Freundin?“
„Sie war, hat vor zwei Tagen leider Schluss gemacht.“
„Hat sie es auch?“
„Genau werden wir das erst in drei Monaten wissen. Aber ich bete dafür, dass nicht.“
„Und wenn doch?“
„Dann steckt sie wohl im gleichen Schlamassel wie wir.“
„Ich kann es mir immer noch nicht richtig vorstellen. Ich habe doch nichts. Mir geht’s gut.“
„Mach einen Test und dann sieh weiter. Was soll ich dir denn sagen? Ich lebe doch auch erst seit Kurzem damit. Alles ist so unwirklich ... Und jetzt lass uns überlegen, wie wir von hier runterkommen. Das ist gerade mein größeres Problem.“
„Gleich. Hast du denn keine Angst? Ich meine, was wenn es alle erfahren? Ich könnte meinen Job verlieren. Keiner möchte mehr etwas mit mir zu tun haben.“
„Behalt es besser erst
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