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Die roten Blueten von Whakatu - Ein Neuseeland-Roman

Die roten Blueten von Whakatu - Ein Neuseeland-Roman

Titel: Die roten Blueten von Whakatu - Ein Neuseeland-Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Inez Corbi
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Zange.« Das Harte, Kalte verschwand.
    Lina atmete zitternd aus und öffnete die Augen. Neben ihr wühlte Dr. Kahles in einer Schublade.
    »Nein«, brummte er. »Auch zu groß.«
    Voller Panik huschte ihr Blick durch den kleinen Raum. Aus dem Fenster, über die Dächer, den Kirchturm, dann zurück ins Zimmer, auf den Schreibtisch. Erneut sah sie dort die Zeitung mit der von einem dicken Balken umrahmten Anzeige. »Auswanderer gesucht«, stand dort. Links oben war die Abbildung eines großen Segelschiffes zu sehen. Von dem Text, der darunterstand, sprangen ihr ein paar fett gedruckte Worte ins Auge: »Freie Überfahrt nach Neuseeland … Ausreisewillige von stabiler Gesundheit …«
    Neuseeland … Wo lag das überhaupt?
    Linas Herz schlug so schnell, als wäre sie gerannt. Doch wie gebannt wurde ihr Blick von dieser Anzeige festgehalten.
    »Ah, endlich. Die wird gehen«, brummte Dr. Kahles. »So, Mädchen, ich bin so weit. Schön aufmachen.«
    Linas Herz schlug jetzt wie eine Trommel. Fest presste sie die Zähne aufeinander, den Blick noch immer auf die Anzeige geheftet. War das die Lösung? Ohne länger darüber nachzudenken, tauchte sie unter Dr. Kahles’ Körper hindurch und sprang auf.
    »Ich … ich hab’s mir anders überlegt!«, rief sie aus. Mit einer Hand griff sie nach der Zeitung, mit der anderen packte sie ihren Schal mit dem eingewickelten Brot für Rieke.
    »He!«, rief Dr. Kahles, die Zange noch in der Hand. »Du hast mir was versprochen!« Er versuchte, nach ihr zu greifen, aber Lina war schneller. Zeitung und Brotpäckchen eng an sich gepresst, stürmte sie durch die Tür und den Vorraum hinaus ins Freie. Rannte durch die engen Gassen von Klütz mit seinem Kopfsteinpflaster und den kleinen roten Backsteinhäusern in Richtung Ostsee, bis sie den Weg nach Boltenhagen erreichte.
    Der lange, weite Rock behinderte Lina beim Laufen, sie musste aufpassen, dass sie nicht stolperte. Für einen Moment hielt sie an, raffte den Saum von Rock und Unterröcken und machte in Höhe ihrer Knie mehrere Knoten in den Stoff. Das war zwar äußerst unschicklich, aber sie hatte es eilig.
    In leichten Kurven zog sich der Weg, den Lina erst vor Kurzem mit zögernden Schritten entlanggegangen war, durch die fruchtbaren Felder, die dieser Gegend den Namen »Speckwinkel« gegeben hatten. Jetzt, am Anfang des Frühlings, lugten die ersten grünen Spitzen aus der Erde. Ein paar einsame schwarze Krähen mit zerzaustem Gefieder suchten dort nach Futter. Bis das Getreide geerntet werden konnte, würden noch einige Monate vergehen. Wenn Rieke und sie Glück hatten, erbarmte sich dann eine mitleidige Seele und sie durften nach der Ernte die liegen gebliebenen Ähren auflesen. Aber so viel Zeit hatten sie nicht. Und jetzt würde sowieso alles gut werden.
    Der Wind, der ihr ins Gesicht blies, trug salzige, feuchte Luft mit sich. Normalerweise brauchte sie für den Weg fast eine Stunde, aber diesmal flog die ungepflasterte Straße nur so unter ihr dahin. Sie blieb nicht einmal stehen, als sie Seitenstechen bekam und ihr jeder Schritt wehtat.
    Sie wurde erst wieder langsamer, als der leicht modrige Geruch des Meeres immer stärker wurde, der Geruch nach Fisch, Algen, Salz und Meer. Schon hatte sie die ersten reetgedeckten Häuser von Boltenhagen erreicht. Nur wenige Minuten später kletterte sie über die Düne, auf der Strandhafer, Sanddorn und Hagebuttensträucher wuchsen, und rannte weiter bis zum Strand. Im Westen erhob sich die Steilküste, die von windzerzausten Büschen gesäumt wurde. Darüber türmten sich dunkle Wolkenberge. Es würde bald regnen. In der Ferne verschmolz der Horizont mit dem Himmel zu einem grauen Einerlei.
    Eine salzige Böe nahm ihr fast den Atem und hätte ihr um ein Haar die Zeitung aus der Hand gerissen. Sie stemmte sich gegen den Wind. Sandkörner prasselten gegen ihr Gesicht und ließen ihre Haut brennen. Auf dem Wasser, das hier nur knietief war, schwammen mehrere Möwen.
    Die Ebbe hatte das Meer zurückgezogen und ein paar Meter des feuchten, flachen Strandes freigelegt. Dort sah sie ihre kleine Schwester. Sie hatte ihren langen Rock ebenso wie Lina hochgebunden, ihr zerzauster blonder Haarschopf wehte im Wind. Als sie Lina sah, hob sie den Eimer, den sie in der Hand hielt.
    Lina winkte, stürmte erneut vorwärts. Überall auf dem nassen Strand lagen durchsichtige Quallen; Lina bemühte sich, nicht daraufzutreten. Es passierte zwar nichts, aber sie hasste das rutschige Gefühl unter ihren Sohlen. An

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