Die Rückkehr der Jungfrau Maria - Roman
auf irgendeine Art, an die ich nicht denken wollte, anders gewesenwar. Der Auslöser für den Umbruch war Großvaters letztes Buch
Die Rückkehr der Jungfrau Maria
gewesen. Und jetzt kam dieses Thema wieder auf, und alles fühlte sich instabil an. Wessen Schuld war das? Spielte Maria mit uns allen?
Vielleicht war es kein Zufall, dass sie den Bahnhof mit mir verlassen hat. Vielleicht wusste sie, wer ich bin, schon damals. Wenn jemand das Manuskript von Großvaters Buch besitzt, dann am ehesten ich. Ist es das, was sie von mir will? Ich hätte das Manuskript aufmerksamer lesen sollen. Ausgeschlossen, dass eine so schöne Frau noch Jungfrau ist. Führt sie uns alle an der Nase herum? Vielleicht ist sie geisteskrank und will uns unbewusst glauben machen, sie sei die Reinkarnation der Jungfrau Maria. Aber vielleicht macht sie das auch alles mit Absicht. Niemand betrügt das Bildungssystem unabsichtlich um so viel Geld, wie sie es angeblich gemacht hat. Und sie kann ja wohl kaum verdientermaßen all diese Preise bekommen haben. Auch wenn sie intelligent ist, ist sie kein Genie, manchmal erinnert sie sogar an ein Kind. Aber wie hat sie das mit der Spiegelnummer gemacht? Merkwürdig, dass es in ihrer Wohnung keine Spiegel gibt, noch nicht mal im Badezimmer. In Marias Zimmer steht ein Schminktisch, aber der Spiegel scheint abmontiert worden zu sein. Ob im Aufzug ein Spiegel ist? Und wenn es so wäre? Nein, sie hat einfach nur Angst vor Aufzügen. Die Spiegel in der Wohnung sind durch ein Missgeschick zerbrochen. Das würde doch gut zu Judiths Unglück passen. Die arme Frau. Es ist, als hätte sie sieben Jahre lang an der Tür gesessen und darauf gewartet, dass Maria die Treppe hinaufkommt. Dennoch bin ich mir nicht sicher, ob sie sie liebt oder hasst. Maria scheint darauf zu vertrauen, dass Judith sie nicht verrät. Aber warum stellt sie sich nicht, wenn sie sich für unschuldig hält? Vielleicht hat sie Angst vor Sebastian. Jean Sebastian. Mir ist, als sei das der Name eines unglückbringenden Schattens, eines Schattens, der Großvater in seinen
letzten Jahren verfolgt hat und jetzt offenbar Maria verfolgt. Was meinte sie, als sie sagte, ich dürfe nicht sterben? Das war fast so, als fürchte sie, für meinen Tod verantwortlich zu sein. Ich will sie so vieles fragen, aber wenn sie in meiner Nähe ist, werde ich vollkommen passiv. Manchmal ist es, als sei sie von einer unsichtbaren Schutzhülle umgeben, die verhindert, dass ihr jemand zu nahe kommt. Trotzdem habe ich den Eindruck, als würde ich mich ihr langsam nähern. Ich weiß noch, wie ich mich fühlte, als sie sich von mir verabschiedete und die Pension verließ und ich dachte, ich hätte sie verloren. Ich kann sie nicht verlassen, aber ich kann auch nicht lange bei ihr sein, wenn sie nicht mir gehört. Vielleicht ist es genau das, was sie braucht, dass jemand sie nimmt. Sie muss spüren, dass sie eine Frau ist, eine ganz normale Frau, wie sie sagte. Sie war so sanft zu mir, nachdem ich sie in der Pension abgekanzelt hatte. Seltsam, dieses unangenehme Gefühl, wenn ich sie berühre wie eine Frau …
Als ich endlich über meinen Gedanken einschlief, hatte ich wirre Träume von Maria.
VII
Maria kam zu mir in einem Smoking ihres Vaters, die Haare hochgesteckt. Sie war ganz aufgewühlt, sagte, die Hose passe ihr nicht richtig, deshalb könne sie nicht normal laufen, und alle würden sie anstarren. In meinen Augen passten ihr die Sachen perfekt, und sie bewegte sich ganz ungezwungen darin, aber sie flehte mich an, ihr zu helfen, die Hose anzupassen, damit sie normal laufen könne. Sie bat mich, ihr zu folgen, und als ich ihr nachging, sah ich, dass die Kleidung durchsichtig wurde. Ich streckte die Hand aus, um Maria zu berühren, aber da wurde meine Hand am Handgelenk abgeschlagen. Ich war sehr überrascht, doch obwohl Blut aus der Wunde spritzte, konnte ich mich nicht darauf konzentrieren, denn ich war völlig fasziniert von Marias Nacktheit. Als ich meine andere Hand ausstreckte, um sie zu berühren, wurde auch diese am Handgelenk abgeschlagen. Ich blieb stehen und rief nach ihr. Als sie sich umdrehte, streckte ich meine handlosen Arme nach ihr aus. Sie kam zu mir, nahm meinen rechten Arm und legte ihre linke Brustwarze an die Wunde, dann nahm sie meinen linken Arm und legte ihre rechte Brustwarze an die Wunde. Sie sagte:
»Die Brustwarze kommt von der Milch.«
Ich fühlte mich besser. Wir sahen, wie das Blut aus meinen Armen langsam an ihrem Bauch hinabfloss, ihren
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