Die Rückkehr der Jungfrau Maria
Wohnzimmer, und sie zeigte mir ein Fotoalbum.
»Ich bin überhaupt nicht fotogen«, sagte sie treuherzig. Während sie die Seiten des Albums für mich umblätterte, fragte ich immer wieder:
»Bist du das?«
»Ja«, antwortete sie jedes Mal. Das Problem war, dass sie, obwohl die Fotos scharf waren, oft verschwommen und furchtbar schlecht zu erkennen war. Sie zeigte auf ein Foto und sagte:
»Das da ist ganz schrecklich.«
»Das von deinem Vater?«, fragte ich.
»Nein, das von mir.«
»Aber du bist doch gar nicht auf dem Foto.«
»Ich war hier«, sagte sie und zeigte auf das Meer hinter ihrem Vater. Ich verstand sie nicht und entgegnete:
»Da war ich noch nie.«
Sie blätterte weiter. Ganz hinten waren zwei Fotos von ihrem Vater und Judith beim Schachspielen.
»Hast du ein Schachspiel?«, fragte ich.
»Ja, Papas Schachspiel.«
»Sollen wir spielen?«
»Ich kenne die Regeln nicht«, gestand Maria gleichgültig, und ich überlegte, etwas anderes vorzuschlagen, sagte aber aus irgendeinem Grund:
»Ich bringe sie dir bei.«
Maria lernte blitzschnell, und wir fingen an zu spielen. Nach einer halben Stunde war ich um einige Figuren im Rückstand und hatte fast verloren. Aber ich gab nicht auf. Maria schaute mich unsicher an und blickte dann auf das Schachbrett. Ich studierte lange den Spielstand, bis mir klar wurde, dass er einen gewagten, aber simplen Zug ermöglichte. Wenn ich meine Königin opferte, war Maria in zwei Zügen schachmatt. Die Sache ging auf, ich siegte um Haaresbreite. Wir spielten noch eine Partie, und die Geschichte wiederholte sich. Nach einer halben Stunde hatte Maria die Oberhand. Und das gegen mich, der ich mit fünf Jahren von Großvater Schachspielen gelernt hatte. Ich schien keine andere Wahl zu haben, als mich geschlagen zu geben. Maria sah mich schüchtern an und blickte dann auf das Schachbrett. Nachdem ich mir eine Weile den Kopf zerbrochen hatte, sah ich, dass ich sie, wenn ich meine Königin opferte, in zwei Zügen schachmatt setzen konnte. Genau wie beim ersten Mal. Es funktionierte, und Maria wollte aufhören zu spielen. Aber mir ging eine seltsame Idee durch den Kopf, und ich überredete Maria zu einer weiteren Partie. Eine Dreiviertelstunde später hatte ich so gut wie verloren. Ich studierte die Position meiner Königin und stellte fest, dass ich sie opfern und Maria in zwei Zügen schachmatt setzen konnte. Aber ich beschloss, es nicht zu tun, und machte stattdessen einen scheinbar normalen Verteidigungszug und schaute zu Maria. Sie sah aus, als bräche sie jeden Moment in Tränen aus. Sie konnte sich aussuchen, wie sie das Spiel gewinnen wollte, tat aber alles, um es hinauszuzögern. Nach einigem Hin und Her waren wir wieder an dem Punkt, dass ich meine Königin opfern und Maria in zwei Zügen schachmatt setzen konnte.
Wie kriegt sie diese komplizierten Spielzüge hin?
Ich hatte den starken Drang, etwas zu tun, das mich verlieren lassen würde, aber Marias Gesichtsausdruck nach schien sie mich fast anzuflehen, das Spiel für mich zu entscheiden. Ich opferte meine Königin und setzte sie in zwei Zügen schachmatt. Maria strahlte vor Vergnügen. Ich musterte sie genauer. Es war absurd, dass ich alle drei Partien gewonnen hatte. Ich hätte gerne gesagt »Du bist eine seltsame Schachspielerin« oder einfach »Du bist seltsam«. Maria wich meinem eindringlichen Blick aus, bis ich neckend sagte:
»Du musst wohl noch ein bisschen üben.«
»Ja«, seufzte sie, als falle ihr eine schwere Last von der Schulter, »am Ende besiegst du mich immer.«
Zum Abendessen machten wir alkoholfreie Cocktails und einen Obstsalat, der mich an meine erste selbst ausgedachte Clownnummer erinnerte. Sie war so misslungen, dass die Leute mich mit Obst bewarfen, bis ich mir wie ein verfaulter Obstsalat vorkam. Wir nahmen das Essen mit ins Wohnzimmer, ich spielte Maria die misslungene Nummer vor, und sie bewarf mich mit der Hälfte ihres Obstsalats. Darauf fiel mir nichts anderes ein, als sie mit der Hälfte meines Obstsalats zu bewerfen. Wir lachten wie verrückt, und ich spürte, dass sie sich bei mir vollkommen sicher fühlte. Ich rückte an sie heran, nahm ihren Zopf und löste ihn. Sie schüttelte ihr Haar aus, nahm ein paar Haarsträhnen in die Hand und wischte mir damit die Sahne aus dem Gesicht. Ich wollte etwas Schönes zu ihr sagen. Wir schauten uns wortlos in die Augen, doch als ich mich zur ihr beugen und sie küssen wollte, sagte sie leise:
»Ich gehe kurz duschen, wartest du auf
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