Die Rückkehr der Jungfrau Maria
Meine Pflegemutter Margret war im Blumengarten und jätete Unkraut – ich konnte sie zwar nicht sehen, aber das war so sicher, wie die Sonne am Himmel stand. Ich fand sie zwischen den Madonnenlilien kniend.
»Die Blumen wachsen gut«, bemerkte ich.
»Ja, sie wachsen hier in Blomsterfeld immer gut, ich kann dir sagen, dass einst …«
Sie stand auf, und ich beendete den Satz:
»… das gesamte Land in Blomsterfeld ein einziges Blumenmeer war und sogar ausländische Kirchen und Höfe hier Blumen bestellt haben.«
»Ja, aber das war lange vor deiner Zeit. Sieh dir die Madonnenlilien an. Man kann die vielen Experten gar nicht zählen, die bestätigt haben, dass diese Lilien die schönsten auf der ganzen Welt seien, und ich muss die meisten Anfragen von Kirchen, die Blumen als Altarschmuck kaufen wollen, leider ablehnen.«
Sie hatte eine Blume abgeschnitten und reichte sie mir, aber ich wandte mich von ihr ab und betrachtete das Bergpanorama.
»Wie sind die Vorstellungen mit dem Zirkusschrank gelaufen?«
»Gut.«
»Wo ist der Schrank?«
»Ich habe ihn in ein Lager gestellt.«
»Hast du jemanden kennengelernt?«
»Nein.«
»Wie heißt sie?«
»Ich habe niemanden kennengelernt.«
Sie grinste, kniff mir in die Wange und äffte mich nach:
» Ich habe niemanden kennengelernt. Na komm, du Sturkopf, ich glaube, du kannst eine kleine Aufmunterung gebrauchen.«
Margret stellte frisch gebackenes Brot, gekochte Eier und frische Milch vom nächsten Bauernhof auf den Tisch. Sie erzählte mir Neuigkeiten von den Menschen und Tieren von den benachbarten Höfen. Dann gingen wir die Post und die Buchhaltung durch. Ich sah, dass ich die dringendsten Zahlungen tätigen konnte, denn ein paar Rechnungen waren offenbar verschwunden. Um nicht mit Margret in Streit darüber zu geraten, dass sie gewisse Dinge nicht hätte zahlen sollen, erwähnte ich die fehlenden Rechnungen nicht. Am Ende zeigte Margret mir ein paar förmliche Umschläge.
»Und dann kommen ständig solche Briefe, soll ich die nicht einfach wegwerfen?«
Es waren Kaufangebote für Blomsterfeld.
»Nein, es schadet ja nichts, einen Blick darauf zu werfen«, sagte ich und nahm die Umschläge an mich. An diesem Punkt brachte Margret das Gespräch normalerweise auf die Einnahmen aus ihrer Blumenzucht, wie viel wir verdienen könnten, wenn sie Mitarbeiter einstellen würde und so weiter. Um solche Diskussionen zu umgehen, stand ich auf und dankte ihr. Im Türrahmen blieb ich stehen und ließ meinen Blick über das Tal schweifen. Margret stand still da und beobachtete mich, bis ich sagte:
»Sie hieß Maria.«
»Heißt sie denn jetzt nicht mehr so?«
»Nein.«
Als ich nach Hause kam, öffnete ich einen der Umschläge. Er interessierte mich, da der Name einer der wohlhabendsten Familien des Landes darauf stand. Es handelte sich um ein großzügiges Angebot für die gesamten Ländereien von Blomsterfeld mit allen Gebäuden und Einrichtungen. Der genannte Betrag war sogar noch ein bisschen höher als der Wert des Zirkus Wallenda und sollte bei Vertragsunterzeichnung auf einmal ausgezahlt werden. Wenn ich den Zirkus gekauft hätte, könnte ich mir sogar zusätzlich eine eigene Wohnung in der Stadt leisten und hätte noch Restkapital, um den Betrieb zu erneuern. Ich beschloss, das Angebot anzunehmen, unter der Bedingung, dass die Käufer sich damit einverstanden erklärten, dass Margret für den Rest ihres Lebens in ihrem Häuschen wohnen dürfte. Nachdem ich mit den Anwälten und Agenten der Familie, die das Land kaufen wollte, gesprochen hatte, rief ich Samuel an.
»Hör mal, Micha, heute Morgen sind dreihunderttausend Kronen auf meinem Konto eingegangen. Weißt du, woher die kommen?«
Ich antwortete nicht.
»Micha, hörst du mich?«
»Was? Ja, nein, ich weiß nicht, wovon du sprichst.«
»Ist alles in Ordnung mit dir, Junge?«
»Ich kriege morgen das Geld.«
»Hast du verkauft?«
»Ich bekomme das Geld nach der Vertragsunterzeichnung in bar, es gibt keine Probleme. Das kannst du den Bankleuten sagen.«
»Wirklich auf den letzten Drücker. Wann kann ich mit dir rechnen?«
»Ich melde mich.«
Nachdem ich aufgelegt hatte, gönnte ich mir eine Pause in dem tiefen Sessel und starrte vor mich hin.
Das war’s dann wohl.
Ich dachte darüber nach, meine restliche Zeit in Blomsterfeld dafür zu nutzen, alte Sachen durchzusehen, konnte mich aber nicht überwinden. Die Sonne ging unter. Ich hatte mehrere Stunden lang einfach nur in die Dämmerung gestiert und
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