Die Rückkehr der Jungfrau Maria
wieder freundlich an.
»Ja, sie war uns allen eine Freundin, sie war …«
Ich fiel ihm ins Wort: »Allen außer Sebastian.«
»Sie hatte Angst vor ihm. Sie hat uns unter Tränen angefleht, sie freizulassen, und wir wollten das auch, hatten aber Anweisungen vom Bischof und dachten, wir würden rechtmäßig handeln. Wie konnten wir denn wissen, dass er uns angelogen hatte?«
Der Richter forderte mich auf, dem Gericht erklären, warum dieses Gespräch Marias illegale Befreiung widerlegen sollte. Ich antwortete, ich würde versuchen zu zeigen, in welcher Gefahr sich Maria in der Burg befunden und welche Motive ihr Befreier gehabt habe. Der Richter erlaubte mir weiterzumachen. Der Rest war leicht. Nachdem der Chauffeur berichtet hatte, wie Sebastian mit Maria umgegangen war, war es ein Kinderspiel, die Wachleute und anderen Mitarbeiter, beispielsweise die Techniker, die den Roboter gesteuert hatten, dazu zu bringen, ihren Anteil bei der Sache zuzugeben. Indem sie sämtliche Verantwortung von sich wiesen, gaben sie gleichzeitig Sebastian die Schuld. Ich konnte die Männer nicht ins Kreuzverhör nehmen, da der Staatsanwalt und der Richter immer öfter eingriffen und mir vorwarfen, ich lenkte vom Thema ab. Doch nachdem ich mit den Zeugen gesprochen hatte, ließ ich sie von meinem Anwalt in den Flur bringen, wo ein Schwarm von Journalisten wartete und sie aufforderte, ihre Geschichte noch einmal zu wiederholen. Die Zeugen wetteiferten darum, möglichst ehrenhaft zu wirken, indem sie die anrührendsten Geschichten über ihre persönliche Freundschaft mit Maria erzählten, während die Aussagen über Sebastian immer abscheulicher wurden. Obwohl der Bischof den Gerichtssaal nach seinem Verhör verlassen hatte, konnte ich mich nicht beherrschen, immer wieder neue Zeugen in den Zeugenstand zu rufen, die jedoch immer weniger mit dem Fall zu tun hatten. Der Staatsanwalt warf mir Verdrehung der Tatsachen vor und pochte weiter auf die Beweise, dass ich das Drahtseil zur Burg gespannt und die Tür der Turmwohnung aufgebrochen hätte. Als der Tag voranschritt und ich forderte, dem Chauffeur noch ein paar zusätzliche Fragen stellen zu dürfen, sagte der Richter, es sei jetzt klar, dass keine neuen Indizien mehr ans Licht kommen würden, und erklärte die Zeugenvernehmung für beendet. Ich war damit nicht zufrieden, aber mein Anwalt versuchte mich zu beruhigen und sagte, wenn ich so weitermachen würde, würde ich mir nur schaden. Er überredete mich, fürs Erste aufzuhören, doch als es am nächsten Tag zur Urteilsverkündung kam, war ich enttäuscht, dass die Anhörung zu Ende war. Meiner Meinung nach war sie noch nicht zu Ende – ich hatte für meinen Verlust nichts zurückbekommen, und obwohl mein Anwalt versuchte, mich aufzuhalten, erhob ich mich und verlangte, Jean Sebastian in den Zeugenstand zu rufen. Der Richter wiederholte, die Zeugenanhörung sei beendet und Bischof Sebastian sei nicht da, aber ich bestand auf meiner Forderung. Der Richter drohte, mich des Saals zu verweisen und das Urteil in meiner Abwesenheit zu verlesen, wenn ich die Verhandlung weiter verzögern würde. Ich ignorierte ihn und verlangte weiter, dass Jean Sebastian in den Zeugenstand komme. Der Richter schüttelte den Kopf und war kurz davor, mich aus dem Saal werfen zu lassen, als der Gerichtsdiener ihm einen Zettel mit einer Nachricht brachte.
»Ich will Sebastian«, sagte ich mit lauter Stimme, während der Richter den Zettel las. Er hob den Kopf und bat die Leute aufzustehen, er müsse einen Todesfall verkünden.
»Ich will Sebastian!«, brüllte ich, sodass der Saal erbebte.
»Das ist nicht möglich!«, stieß der Richter hervor, besann sich dann und fuhr mit feierlicher Stimme fort:
»Bischof Jean Sebastian ist tot. Er wurde heute Morgen in seinem Haus gefunden. Er hat sich das Leben genommen. Ich möchte die Anwesenden zu einer Schweigeminute aufrufen.«
Damit war der Fall von meiner Seite aus beendet. Aber es erfüllte mich nicht mit Frieden, sondern mit Entsetzen. Jetzt konnte mich nichts mehr davon ablenken, an Marias Schicksal zu denken. Am Ende der Schweigeminute fragte mich der Richter:
»Möchte der Angeklagte etwas zu diesem traurigen Ereignis sagen?«
Ich spürte keine Befriedigung darüber, dass Sebastian tot war, spürte, dass ich nie etwas bekommen würde, das mir meinen Verlust ersetzen konnte. Aber ich fand es auch nicht traurig, dass er sich das Leben genommen hatte, und sagte:
»Ich verstehe, warum er das getan hat, aber
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