Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Rückkehr der Karavellen - Roman

Die Rückkehr der Karavellen - Roman

Titel: Die Rückkehr der Karavellen - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Luchterhand
Vom Netzwerk:
seien, da die ledige Lehrerin von Mozart höchstpersönlich dazu eingeladen worden sei, ihm bei der Orchestrierung seines Requiems zu helfen. Die Schülerin sehe sich nun, von zusätzlichen Kenntnissen des Notenlesens bereichert, in der unglaublichen Lage, unmittelbar eine Konzertkarriere in New York zu beginnen: Sie sahen sich ein paar Minuten lang im Wartesaal des Flughafens, und der Alte fand eine vom Instrumentenkasten gebeugte Ehefrau mit weitem Rock, gehäkelten Strümpfen und Pony vor, die entschlossen war, mit ihrem erhabenen Talent Amerika zu verblüffen. Sie hatte die Nähmaschine aus Guinea mit im Gepäck, mit deren Hilfe sie in den Konzertpausen aus Stücken des Vorhangs Umschlagtücher und Morgenmäntel herzustellen beabsichtigte. Sie standen einander wortlos gegenüber, der Herde von Passagieren und dem marokkanischen Marktgewusel des Duty-free-Shops gegenüber gleichgültig, und der Ehemann starrte sie, von Deutschen und Gepäckwagen
zerquetscht, an und versuchte sich ihre Verlobungszeit ins Gedächtnis zu rufen, aus der nur die Erinnerung an ein ernstes Mädchen mit scheuer Taille übrig war, das sehr gerade auf einem Nußbaumstuhl saß. Gleichwohl war die Braut, die er geliebt hatte, mit dem endgültigen Verlöschen der von den Jahren im Metallrahmen zerstörten Brautleute vom Foto verschwunden. Auch der lange Todeskampf der Tochter war eine nicht vorhandene, von vielen späteren Ereignissen und Unglücksfällen verschüttete Erinnerung, und daher erlebte er leidlos den Abflug einer Frau, bei der ihn nur das Gefühl verwirrte, daß sie niemals die Seine gewesen war: Eine unbekannte Greisin, der die Pubertät noch bevorstand, mit einer Kirschenbrosche aus Bakelit am Rockaufschlag, die, das Cello auf dem Rücken, Kurs auf die Vereinigten Staaten nahm und ihm und dem Bahnhofsdurcheinander der Abreisenden gegenüber gleichgültig mit fadendünnem Arm den dritten Satz von Mahlers Fünfter ins Nichts zeichnete. Er sah sie an der Polizei vorbeigehen, an der Paßkontrolle, an den Typen, die mit Maschinengewehren im Kapok der Plüschbärchen nach palästinensischen Terroristen suchten und schließlich, ohne ein Abschiedswinken, an den Bauch des Instruments geklammert, einen Kabeljaufischfangkutter besteigen, der seine Segel in Richtung Broadway blähte.
    Er kehrte nach Cruz Quebrada zurück, schwindlig von den Lichtern, dem Lärm, den vielfältigen Dialekten der Hindus mit Turban, die auf Nagelkissen ihr Abendessen aus Glasscherben einnehmend auf den Flug nach Karatschi warteten, er nahm das Foto der Frischverheirateten, auf dem er unter Mühen eine Gürtelschnalle und ein Eckchen Himmel
erahnen konnte, und warf es über den Balkon auf den Müllhaufen hinter dem Haus. Plötzlich ohne Vergangenheit, verharrte er in staunender Betrachtung der Angler auf ihrer Mauer und ihrer unvorstellbar beharrlichen Angelhaken und wartete darauf, daß früher oder später eine von den Februarströmungen abgetriebene Tejonymphe anbiß und einer der Männer mit Südwester eine von diesen illusionslosen Vierzigjährigen aus der Mandarinenlikörtaverne mit einer schräg in den gefärbten Haaren sitzenden Sevillaspange in seinen Fischkorb auf ein Nest von Aalen kippte.

D iogo Cão sah sie zum ersten Mal, als der König, unser aller Herr, befahl, regelmäßigen Schiffsverkehr zwischen Portugal und Amsterdam einzurichten, um das Filigran der Goldschmiede und den Zimt aus Indien in Europa loszuwerden, und als wir dort mit sämtlich unversehrten Schiffen anlangten, trafen wir auf eine Stadt linsenpolierender Philosophen, die auf anachronistischen Fahrrädern durch die Straßen fuhren. Wir sahen argentinische Fregatten und türkische Kreuzer im Hafen schlafen, alte Frauen, die sich über unsere Musketen wunderten, unsere Leinenapplikationen und die Tatsache, daß wir mit den Händen aßen, und eines Nachts, als er durch die Stadt spazierte, fand sich der Entdecker auf einem mit Fluorfünfecken und Kanalspiegelungen gepflasterten Boulevard mit Tür an Tür liegenden Geneverbars und beleuchteten Schaufenstern wieder, in denen auf Negerkönigssesseln hingegossene Frauen mit roten Strumpfhaltern ausgestellt waren, die ihm mit Quermaulflossen zuwedelten. Und da blieb er vor einer großen Dicken mit nackten Brüsten und im Lippenstift vergessener Zigarre stehen, und dachte, indem er sich gegen die Stirn schlug wie jemand, der sich plötzlich an etwas erinnert, Verflucht noch mal, jetzt wird mir klar, wieso unsere Flüsse
leer sind, die

Weitere Kostenlose Bücher