Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Rückkehr der Karavellen - Roman

Die Rückkehr der Karavellen - Roman

Titel: Die Rückkehr der Karavellen - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Luchterhand
Vom Netzwerk:
anzufangen.
    – Sogar der Nordpol, war sein Argument, ist ganz gewiß besser als dies hier.
    Doch die Ehefrau war schon vor Ewigkeiten auf die düstere Seite der Hoffnung übergewechselt, in der selbst die trivialsten Vorhaben in unverbesserlicher Gleichgültigkeit verenden. Der Alte sah sich dem Gefühl ausgeliefert, daß seine Ehefrau wieder, vom Duft der Mispelbäume gewürgt, im Häuschen in Barcelos lebte. Sie war sieben oder acht Jahre alt, trug helle Kleidchen und lernte nachmittags bei einer alten Jungfer Cello spielen, die mit einem Fächer den Wallungen der Jungfräulichkeit ständig frische Luft zuführte. Er bekam Gänsehaut beim Gedanken, mit einer Musikschülerin verheiratet zu sein, und seine Beklemmung nahm noch zu, als sie ihm feierlich mit einer Stimme voll romantischer Konsonanten einer veralteten Orthographie antwortete:
    – Gehen Sie, mein Herr, nur zu, ich muß noch eine Toccata üben.
    Weil es ihm unmöglich war, die Absurdität zu ertragen, Großonkel seiner eigenen Frau zu sein, versuchte er ihr Gedächtnis mit Erinnerungen an Bissau wiederzubeleben, den Tod der Tochter, die langen zweisamen kühlen Jahreszeiten, die Dame im unteren Stockwerk, die Mücken mit den Absätzen der Stiefelchen jagte, das Einweihungskonzert des Cine-Teatro, bei dem eine Truppe aus Coimbra die Kameliendame vor einem schweiß- und emotionsgetränkten Publikum aufführte, das für das Liebesgeschrei empfänglich war. Doch die Ehefrau, die ihren Haarknoten aufgelöst
hatte, um Organdischleifen an die grauen Zöpfe zu knüpfen, lauschte ihm, ohne ihn zu hören, bewegte die Finger im Dreivierteltakt der Musik, in einen Kokon aus Notenschlüssel abgetaucht, der keine kleine Luke hatte. Zu den Fenstern des Meeres gewandt, das mit den ersten Regenfällen die Wellenblätter den Strand entlangrollte, wartete sie in regloser Anspannung auf die vor beinahe zwanzig Lustren verschiedene Lehrerin oder suchte im Bett oder unter der Tagesdecke das unsichtbare Instrument, dessen Widerhall sich während der Hustenpausen im Zimmer zu verbreiten schien. Nach einem Monat voller Streitereien, Flehen, Erklärungen und Reden verließ er sie, die runzlig und winzig wie ein altes Kind mit der Fingerspitze auf dem angeschliffenen Spiegel ein Durcheinander von Akkorden zeichnete, stieg am Platz mit den einfachen Läden und ländlich winterlichen Häusern in den Bus nach Lixboa, nahm neben einem Mann Platz, der nach Ziegenkäse stank, und drei Stunden lang fuhren sie an namenlosen Orten, Nebelwäldern, von Regengüssen aufgeweichten Wegen, einem Beerdigungszug eines beim König in Ungnade gefallenen Grafen vorbei, dem nur ein Mietwagen und eine Dorfblaskapelle folgte, die vom Nieselregen verstopfte Flöten spielte, bis ich wieder in der Hauptstadt ankam, nicht am Ufer zum Meer, wie damals, als ich aus Guinea zurückkehrte, sondern im Landesinneren bei vom schmerzlichen Januarleid traurigen Werkstätten und Fabriken, bis der Mann, der nach Ziegenkäse roch und, das Kinn auf der Brust, schlief, im Schlaf unter seiner Mütze verkündete, Morgen werde ich im Institut eine Röntgenaufnahme machen lassen, bis die Palmzweige der Tavernen verschwanden, die Boulevards sich teilten und
in Stadtteilen vervielfältigten, in denen ich nie gewesen war, und der Ehemann an der nicht auszurechnenden Vielzahl von Klöstern und illegal gebauten Wohnblöcken, aber auch an den taubengleichen Seraphim, die in den Knien der Statuen Schutz suchten und die nassen Flügel mit himmlischen Mündern glattstrichen, erkannte, daß er tatsächlich Lixboa erreicht hatte.
    In den ersten Monaten kam er in Benfica in einer Ansammlung von aus Abfall gebauten Hütten unter, die von der Friedhofsmauer gestützt wurden und von bleichen Kapverdianern belegt waren, bei denen das Messer locker saß und die beim Straßenbau hämmerten und den Geruch süßer Fäulnis von Totengräbern an sich hatten, die auch jenen fernen Verwandten eigen ist, die einander, eine Decke über den Knien, zu Weihnachten besuchten, um Beileidsbezeugungen im voraus zu leisten. Nachts glitten Öllichter über den Boden der Gassen dahin, Kinder und Hunde vermengten die Verzweiflung ihres Weinens, und die Neger von den Müllwagen drängelten sich mit ihren phosphoreszierenden Hosenträgern in einer Tavernenimitation, in der ein humpelndes Mädchen mit wilder Afromähne Mandarinenlikör aus einem Stück Tresen zog, der aus dem Kajütenspind eines Loggers gemacht war, der bei Cascais vor dem Fort der Gefangenen

Weitere Kostenlose Bücher