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Die Rückkehr der Zehnten

Titel: Die Rückkehr der Zehnten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nina Blazon
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sofort wieder zusammenfloss. Fischerboote kamen mit ihrem Fang vom offenen Meer heran. Rufe und Mopedgeknatter klangen durch die kristallklare Morgenluft. Immer noch war der Himmel gleißend hellgrau.
    Lange saßen die Zwillinge beim Leuchtturm und betrachteten den italienischen Horizont, bis schließlich ein erster Streifen roter Morgensonne sich zeigte. Lis fühlte sich wie betäubt. Sie dachte an Matej und ihr Magen krampfte sich vor Angst zusammen. Ich muss ihn suchen, sagte sie sich. Irgendwo muss er sein. Gleichzeitig flüsterte ihr eine kleine, gemeine Stimme zu, dass Matej nicht überlebt hatte. Vielleicht war er schon zu lange in Antjana, vielleicht war seine Zeit in Piran abgelaufen – vielleicht war er damals, als er im Meer verschwand, wirklich ertrunken. Alles war möglich.
    Schwerfällig erhob sich Levin und klopfte den Staub von seinen Hosenbeinen. Sein Priestermantel blähte sich im Wind. Alles an ihm war so, wie es vorher gewesen war, nur sein Gesicht hatte sich verändert. Er sah trauriger aus, erschöpfter, aber auch erwachsener und auf eine gewisse Weise härter. Lis kam es vor, als würde er fester auf der Erde stehen.
    »Komm«, sagte er und streckte ihr die Hand hin.
    Bereitwillig ließ sie sich hochziehen und schüttelte ihre eingeschlafenen Beine aus. Der Regenanorak raschelte ungewohnt. Unwillkürlich sehnte sie sich nach dem Gefühl von Wolle und kratzigem handgewebtem Leinen auf der Haut, an das sie sich so schnell gewöhnt hatte. Sogar das Kettenhemd hätte sie jetzt lieber getragen als den leichten Perlonstoff, der ihr das Gefühl gab, nackt und verletzlich zu sein.
    Levin sah sie nachdenklich an. Wahrscheinlich komme ich ihm ebenso verändert vor wie er mir, überlegte sie. Müdigkeit überwältigte sie. Schweigend gingen sie die vertrauten Straßen entlang. Die Häuser, in denen die ersten Menschen erwachten, erschienen ihr winzig und rührend schmal, die Straßen rochen nach Stein und erkaltetem Fischöl. Tauben putzten sich auf den Stromleitungen, die sich zwischen den Häuserwänden über die Straßen spannten.
    Lis und Levin betrachteten alles mit großer Konzentration. Sie staunten über die unregelmäßigen Pflastersteine, die unebenen Wege, über die roten Straßenschilder, auf denen die Straßennamen in dicken, weißen Buchstaben prangten.
    Lis kam sich vor, als wäre sie von einer langen Reise heimgekehrt in einen Ort, den sie als Kind zum letzten Mal gesehen hatte. Wie alle Kindheitsorte erschienen ihr die Straßen erstaunlich klein und weit weniger prächtig als in ihrer Erinnerung. Schließlich, nach einer letzten Abzweigung, kamen sie in die Straße Grajska Ulica, wo das schmale Haus von Onkel Miran und Tante Vida noch mit geschlossenen Fensterläden tief schlief.
    Ungewohnt war es auch, den Schlüssel in das Schloss zu schieben. Für einen Moment befürchtete Lis, der Schlüssel könnte nicht passen. Binnen Sekunden entstand in ihrem Kopf eine aberwitzige Geschichte, in der sie und Levin in eine Stadt zurückkehrten, in der ihnen ein um viele Jahre gealterter Sascha die Tür aufmachte und sie nicht mehr erkannte. Ihre Mutter war vor Gram gestorben, Tante Vida und Onkel Miran ebenfalls nicht mehr am Leben und Lis und Levin völlig aus der Zeit gefallen. Wie in den irischen Elfenmärchen würden sie auf ewig die Opfer dieses unerklärlichen magischen Zeitrutsches bleiben und nie wieder in ihr Leben zurückfinden.
    Mit einem Klicken rastete der Schlüssel im Schloss ein. Lis beobachtete ihre eigenen Handlungen, als wäre sie ein Wissenschaftler, der die Gebräuche eines fremden Volkes betrachtet. Wie zerbrechlich das alles ist, ging es ihr durch den Kopf.
    Die Treppe knarzte, als sie wie Diebe in das Dachzimmer schlichen, mit seltsam verrenkten Schritten im Zickzack, um immer die leisesten Stellen der Treppe zu erwischen. Es roch unglaublich sauber und chemisch. Düfte nach Putzmitteln, nach Seife und frisch gewaschener Wäsche durchdrangen das Haus und waren so stark, dass Lis fast der Atem wegblieb. Nie war ihr aufgefallen, wie sehr ihre Nase sich an die Gerüche des modernen Lebens gewöhnt hatte. Im Moment erschien ihr sogar der wohl vertraute Tier- und Fellgeruch in Zorans Hütte angenehmer.
    Ihr Bett war zerwühlt, wie sie es verlassen hatten. Die Uhr auf dem Nachttisch zeigte 5.27 Uhr an. Im Nachbarhaus, wo Herr Petek sich für seine Frühschicht im Industriehafen in der Nachbarstadt Koper fertig machte, begann die Dusche zu rauschen.
     
    Lis hätte schwören

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