Die Rückkehr des Drachen
»Geht weiter! Ihr könnt, verdammt noch mal, nicht hier stehenbleiben! Geht weiter!«
Mat und Thom schlossen sich dem dünnen Strom von Menschen, Karren und Schlitten an, der auf das Tor in der Stadtmauer zu und dann nach Aringill hineinfloß.
Die Hauptstraße war mit flachen, grauen Steinen gepflastert, aber so viele Menschen drängten sich darin, daß man kaum die Steine unter den eigenen Stiefeln erkennen konnte. Die meisten schienen sich ziellos einherzuschieben, und jene, die aufgegeben hatten, hockten am Straßenrand, die Glücklicheren mit ihren zusammengeschnürten Habseligkeiten vor sich oder in ihre Arme geschlossen. Mat sah drei Männer, die Uhren umklammerten, und ein Dutzend mehr mit silbernen Pokalen oder Tellern. Die Frauen hielten meist Kinder an die Brust gedrückt. Ein Gemurmel erfüllte die Luft - die wortlose Melodie der Not. Er drängte sich mit finsterer Miene durch die Menge und suchte nach dem Schild einer Schenke. Die Gebäude zeigten keinen einheitlichen Stil. Holz-, Klinker- und Natursteinhäuser standen bunt gemischt, genau wie ihre mit Schieferplatten, Ziegeln oder Stroh gedeckten Dächer.
»Das klingt gar nicht nach Morgase«, sagte Thom nach einer Weile und halb zu sich selbst. Seine buschigen Augenbrauen waren so weit zusammengezogen, daß sie wie ein weißer Pfeil auf seine Nase zielten.
»Was klingt nicht nach ihr?« fragte Mat abwesend.
»Den Flüchtlingsstrom aufzuhalten. Menschen zurückzuweisen. Sie hatte immer schon Wutanfälle, aber andererseits auch ein weiches Herz für die Armen und Hungrigen.« Er schüttelte den Kopf.
Dann sah Mat ein Schild - ›Zum Flußmatrosen‹ stand darauf, und es zeigte einen barfüßigen Burschen ohne Hemd beim Tanzen - und dorthin wandte er sich. Mit Hilfe seines Bauernspießes bahnte er sich den Weg durch die Menge. »Tja, es muß ja wohl sie gewesen sein. Wer auch sonst? Vergiß Morgase, Thom. Bis Caemlyn ist es noch weit. Zuerst sehen wir mal, wieviel Gold es uns kostet, ein Bett für die Nacht zu bekommen.«
Der Schankraum im ›Flußmatrosen‹ war genauso überfüllt wie die Straße draußen. Als der Wirt hörte, was Mat wollte, lachte er, daß sein Mehrfachkinn wackelte. »Wir schlafen hier schon schichtweise - vier teilen sich ein Bett. Wenn meine eigene Mutter zu mir käme, könnte ich ihr noch nicht einmal eine Decke und einen Platz am Herd bieten.«
»Wie Ihr bemerkt haben solltet«, sagte Thom, und seine Stimme hatte wieder diesen gewissen Hall an sich, »bin ich ein Gaukler. Ihr könnt doch sicher Strohsäcke und einen Platz in einer Ecke dafür auftreiben, daß ich Eure Gäste mit Geschichten und Jonglierkünsten, Feuerschlucken und Zauberkunststücken unterhalte.« Der Wirt lachte ihm ins Gesicht.
Als Mat ihn wieder zur Straße hinausschleppte, grollte Thom mit wieder normal klingender Stimme: »Du hast mir nicht einmal die Chance gegeben, ihn nach seinem Stall zu fragen. Bestimmt hätte ich uns wenigstens einen Platz auf seinem Heuboden ergattern können.«
»Ich habe schon genug in Ställen oder Scheunen geschlafen, seit ich aus Emondsfeld wegging«, sagte Mat, »und auch unter vielen Büschen. Ich brauche ein Bett.«
Doch in den nächsten vier Schenken, die er fand, gaben ihm die Wirte das gleiche zur Antwort wie der erste. Die letzten beiden warfen sie beinahe mit Gewalt hinaus, als er ihnen anbot, mit ihnen um ein Bett zu würfeln. Und als der Eigentümer der fünften Schenke ihm sagte, er könne nicht einmal der Königin einen Strohsack geben - und das in einer Schenke, die sich ›Zur Guten Königin‹ nannte -seufzte er und fragte: »Wie steht es dann mit Eurem Stall? Sicher können wir doch gegen Bezahlung ein Plätzchen auf Eurem Heuboden bekommen?«
»Mein Stall ist für Pferde bestimmt«, sagte der Mann mit dem runden Gesicht, »und es gibt nicht mehr viele davon in der Stadt.« Er hatte einen silbernen Becher poliert, und nun öffnete er einen Türflügel eines schmalen Schränkchens, das auf einer großen, geschnitzten Kommode stand, und stellte ihn zu anderen Bechern und Pokalen hinein. Keiner davon paßte zum anderen. Auf der Kommode stand ein Würfelbecher aus gehämmertem Leder gerade so, daß ihn die Türflügel des Schränkchens nicht mehr umwerfen konnten. »Ich lasse da keine Leute hinein, die vielleicht die Pferde erschrecken oder gar welche stehlen. Diejenigen, die mich dafür bezahlen, ihre Tiere in meinem Stall unterzustellen und zu versorgen, verlangen all meine Sorgfalt, und außerdem habe
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