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Die Rueckkehr des Henry Smart

Die Rueckkehr des Henry Smart

Titel: Die Rueckkehr des Henry Smart Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Roddy Doyle
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langgeht.
    – In Ordnung, sagte ich.
    – Soll ich Sie dann auch wieder zurückbringen?
    – Nein.
    – Sie haben keinen Koffer und nichts.
    – Nein.
    – Aber Geld?
    – Ja.
    – Na schön.
    Er warf sich nach vorn, als müsste er den Wagen anschieben. Wir schlichen in den Regen hinein.
    Eigentlich hätte ich auf dem Weg nach Cong im County Mayo sein, hätte jetzt schon an Ort und Stelle sein müssen. Dazu war ich schließlich nach Irland gekommen. Ich war der ehemalige IRA-Berater, der in die Heimat zurückkehrt, um sich anzusehen, wie sein Leben verfilmt wird. Aber erst wollte ich nach Roscommon, zu dem Haus, in dem meine Frau aufgewachsen war. Ich musste das Haus sehen.
    Es war nicht da. Das Haus war weg. Als ich es zuletzt gesehen hatte, kurz bevor ich Irland endgültig verlassen hatte, war es eine ausgebrannte Ruine gewesen. Die Mutter meiner Frau, Old Missis O’Shea, war in die Scheune gezogen, und ich hatte in der Küche geschlafen, unter einer Plane aus Segeltuch. Aber die Wand, die es gehalten hatte, war weg, und alle anderen Wände ebenfalls. Genau wie die Scheune. Ich stand an der richtigen Stelle, aber da war nichts. Ich hatte mir nicht eingebildet, dass ich jemanden antreffen würde, so blöd war ich nicht. Aber es fühlte sich an wie ein zweiter Tod.
    Meine Position stimmte. Die paar Bäume, der gelbe Ginster, sogar die Kühe standen mehr oder weniger da, wo sie 1922 gestanden hatten. Aber es war, als hätte es das Haus und die Nebengebäude, den Brunnen oder die niedrigen Steinmauern, die den Kühen den Weg ins Moor versperrt hatten, nie gegeben.
    Ich ging dahin, wo die Tür, wo mal eine steinerne Schwelle gewesen war. Ich spürte sie in meinen Muskeln, in meinem ganzen Körper.
    Ich blieb stehen. Nichts deutete darauf hin, dass hier mal eine Tür gewesen war. Keine Spur. Ich stampfte mit dem Fuß auf. Unter dem Gras spürte ich nichts. Ich ging zu der Wand, die wir zusammen hochgezogen hatten, ich und meine junge Frau, Miss O’Shea, zusammen mit ihrem Vetter Ivan und dem anderen Vetter, als wir uns an unserem Hochzeitstag im September 1919 hatten fotografieren lassen. Ich spürte die Hitze und die Helligkeit, als ich um die Ecke bog. Ich wusste genau, wo Ivan seine Jungs in Stellung gebracht hatte, um uns für jenen einen Augenblick mitten im Krieg Normalität zu schenken. Aber da war keine Mauer, kein Rest von trockenem Lehmgebrösel, keine harte Stelle am Boden, wo sie gestanden hatte. Meine Hose war klatschnass. Es regnete nicht, musste aber wohl geregnet haben, ehe ich ausgestiegen war und den Taxifahrer bezahlt hatte. Ich stand auf einem Feld, in gutem nassem Gras. Nicht am Rand von dem Feld, wo mal eine Mauer den Küchengarten umgeben hatte. Damit hätte ich umgehen können – dass die Wände dem Boden gleichgemacht waren, der Grundriss des Hauses sich unter Gras und Erde verloren hatte. Das hätte mir eingeleuchtet, es war ja lange her. Aber das hier war gespenstisch. Der Standort stimmte. Genau hier war ich langgelaufen und hatte versucht, fließendes Wasser aufzuspüren, hatte das Holzbein meines Vaters vorgestreckt und ihre Stimme gehört –
zwei und zwei? –
und ihre Stiefel gesehen und die vom Schlamm aufgequollenen Schnürsenkel. Aber hier gab es nicht mal Schlamm.
    Jetzt ging ich über das Feld zurück. Mein Holzbein ächzte protestierend und schnitt in das gestaute Fleisch. Ich spürte kein Wasser unter mir, und der Brunnen, den ich an dem Tag gefunden hatte, war weg. Aber da war das Gatter, ich griff an die oberste Sprosse, die eiskalt war, wie sich das gehörte. Ich griff nicht zum ersten Mal an dieses Gatter, auch wenn der Weg zum Haus verschwunden war. Das Gatter war Realität, brachte mich wieder zur Normalität.
    Ich lief vor bis zur Straße. Ich ließ das Gatter offen. Es waren nicht meine Kühe. Die von Ivan wahrscheinlich. Wenn es Ivan Reynolds noch gab, wenn er noch lebte. Auf der Fahrt von Limerick hierher war ich an Dutzenden verlassener Bauernhäuser vorbeigekommen, die zwischen neueren, helleren Gebäuden leise vor sich hin gammelten. Aber das hier war was anderes. Es gab kein neues Haus und keine Ruinen. Ivan hatte das Haus niedergerissen und so tief vergraben, dass keine Erinnerung daran geblieben war.
    Den Taxifahrer hatte ich bezahlt und nach Limerick zurückgeschickt. Ich war allein auf der Straße. Die Hitze trocknete den Morgenregen. Es würde ein warmer Tag werden.
    Sie waren alle tot: Miss O’Shea, meine Frau, und meine Kinder Saoirse und Rifle. Alle drei.

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