Die Rueckkehr des Henry Smart

Grüße und wünschen ihm baldige und vollständige Genesung.
    Hinter mir wurde geklatscht.
    – Aber wir können uns glücklich schätzen, sagte der Joviale, – Henry Smart unter uns zu haben.
    Er wandte sich an mich.
    – Henry, mein Freund. Wie du weißt, lautet der heute den Delegierten vorliegende Antrag, Sinn Féin möge den langen und hartnäckigen Widerstand gegen die Aufstellung von Kandidaten für die Wahlen zum Parlament des Freistaates, des sogenannten Dáil, aufgeben.
    Ich war noch da, war noch am Leben.
    – Henry, bist du für diesen Antrag?
    Er trat zurück, und ich nahm seinen Platz ein. Ich schaute mich im Saal um, sah jeden Einzelnen an, alle sollten wissen, dass ich zu ihnen sprach.
    – Ja, ich bin dafür, sagte ich.
    Zur Abstimmung blieb ich nicht, es war nicht nötig.
    Ich hatte das Richtige getan.
    Das wusste ich damals, und ich weiß es heute.
    Der Krieg wütete weiter, aber es war der Anfang vom Ende. Sie stimmten dafür, Kandidaten im Süden aufzustellen, den südlichen Staat anzuerkennen. Den Keil hatte ich hineingetrieben. Das Armalite-Gewehr und die Wahlurne – der Rest der Geschichte ist bekannt. Es war bereits eine alte Geschichte, ehe sie an die Öffentlichkeit kam.
    Der Krieg ging weiter, musste weitergehen, damit der Druck erhalten blieb. Sie machten Enniskillen platt, sie verwandelten verängstigte Ehemänner in menschliche Bomben, schlugen Leuten, die sie nicht leiden konnten, die Knie kaputt. Sie schmuggelten Diesel, sie handelten mit Heroin. Sie ermordeten Kinder in Warrington und Ladenbesitzer in London. Es gab sturköpfige Millionäre, die beschwichtigt werden mussten. Es gab bescheuerte Typen, die glaubten, dass den Toten mehr zustand als den Lebenden, die mussten mitgenommen oder abserviert werden. Die Spaltungen mussten bewältigt und eingegrenzt werden. Gute Anzüge mussten angeschafft, schlechte Hände geschüttelt werden.
    Ich dachte ans Sterben. Ich bin mehr als alt. Aber ich bin immer noch hier. Ich kann laufen, wenn man mir aus dem Bett hilft. Meine Tochter ist fast neunzig, aber sie schafft es, wenn sie will. Ich kann bis zur Haustür gehen, ich kann draußen sitzen, wenn es warm ist.
    Sie glauben, dass sie mich sicher haben. Sie rufen an, sie kontrollieren. Noch sechs Jahre bis 2016. Sie denken, dass ich mit ihnen auf dem Podium sitzen und die nächste und endgültige Republik ausrufen werde.
    Aber da irren sie sich. Ich werde sterben. Heute Nacht. Ich muss vor meiner Tochter sterben.
    Aber das denke ich jede Nacht. Ich mache die Augen zu.
    Das ist das letzte Mal. Das letzte Mal, dass ich mir aus dem Bett helfen lasse. Sie wird es verstehen, sie ist auch müde.
    Heute Nacht werde ich endgültig die Augen zumachen. Es ist früher Nachmittag, ein schöner Tag. Mir bleiben noch sieben Stunden, vielleicht acht. Ich habe mein Leben gelebt. Ich bin hundertacht. Ich bin Henry Smart.

Über den Autor/die Übersetzerin
    Roddy Doyle,
1958 in Dublin geboren, arbeitete als Lehrer, bevor er als Autor berühmt wurde. Auf Deutsch erschienen unter anderem die Barrytown-Trilogie –
The Commitments
wurde von Alan Parker,
The Snapper
und
The Van
von Stephen Frears verfilmt –, und die Romane
Paddy Clarke Ha Ha Ha
(1994), für den er den Booker-Preis erhielt, und
Henry der Held
(2000) sowie zwei Kinderbücher. Bei Hanser erschienen
Rory und Ita
(Eine irische Geschichte, 2005),
Jazztime
(Roman, 2006),
Paula Spencer
(Roman, 2008) und
Typisch irisch
(Erzählungen, 2011).
    Renate Orth-Guttmann
lebt in Frankfurt und übersetzte u. a. die Autoren André Aciman, John Aiken, F. Scott Fitzgerald, David Lodge, Joyce Carol Oates, Barbara Vine und Glenn Taylor. 1989 erhielt sie den Wieland-Übersetzerpreis.