Die Rückkehr des Sherlock Holmes
nicht so gut, wie ich gehofft hatte, denn der Prozeß gegen die Moriarty-Bande ließ zwei ihrer gefährlichsten Mitglieder, meine rachsüchtigsten Feinde, auf freiem Fuß. Ich bereiste daher zwei Jahre lang Tibet und vertrieb mir die Zeit, indem ich Lhasa besuchte und einige Tage bei dem Oberlama verbrachte. Sie haben vielleicht von den bemerkenswerten Forschungsreisen eines Norwegers namens Sigerson gelesen, doch bin ich sicher, daß Ihnen dabei nie der Gedanke gekommen ist, Sie erhielten Nachrichten von Ihrem Freund. Darauf zog ich durch Persien, sah mir Mekka an und stattete dem Kalifen von Khartum einen kurzen, aber interessanten Besuch ab, von dessen Ergebnissen ich dem Außenministerium berichtet habe. Ich kehrte nach Frankreich zurück und verbrachte einige Monate mit einer Forschungsarbeit über die Derivate des Kohlenteers, die ich in einem Laboratorium in Montpellier in Südfrankreich durchführte. Nachdem ich dies zu meiner Befriedigung abgeschlossen und erfahren hatte, daß jetzt nur noch einer meiner Feinde in London weilte, stand ich kurz davor, zurückzukehren; und meine Bewegungen beschleunigten sich noch, als die Nachrichten von diesem so merkwürdigen Rätsel von Park Lane eintrafen, das mich nicht nur um seiner selbst willen reizte, sondern mir auch einige höchst eigentümliche private Gelegenheiten zu bieten schien. Ich reiste auf der Stelle nach London, sprach persönlich in Baker Street vor, versetzte Mrs. Hudson in heftige Hysterie und stellte fest, daß Mycroft meine Zimmer und meine Papiere genau in dem Zustand bewahrt hatte, wie sie immer gewesen waren. Und so kam es, mein lieber Watson, daß ich mich heute um zwei Uhr in meinem alten Lehnstuhl in meinem alten Zimmer fand, wobei ich nur noch den einen Wunsch hatte, ich könnte meinen alten Freund Watson in dem anderen Sessel sehen, den er so oft geziert hatte.«
Soweit seine merkwürdige Erzählung, der ich an jenem Aprilabend lauschte – eine Erzählung, die ich für vollkommen unglaublich gehalten hätte, wäre sie nicht durch den konkreten Anblick der großen hageren Gestalt und des scharfen gespannten Gesichts bestätigt worden, das ich nie wiederzusehen geglaubt hatte. Von meinem eigenen schmerzlichen Verlust hatte er irgendwie erfahren, und sein Mitgefühl zeigte sich eher in seinem Gebaren als in seinen Worten. »Arbeit ist das beste Mittel gegen den Schmerz, mein lieber Watson«, sagte er; »und ich habe heut nacht für uns beide ein Stück Arbeit, das, wenn wir es zu einem erfolgreichen Abschluß führen können, schon für sich allein das Leben eines Menschen auf diesem Planeten rechtfertigen würde.« Vergeblich bat ich ihn, mir mehr davon zu sagen. »Sie werden noch vor dem Morgen genug zu hören und zu sehen bekommen«, erwiderte er. »Wir haben drei Jahre der Vergangenheit zu erörtern. Dies sollte bis um halb zehn reichen, wenn wir uns an das denkwürdige Abenteuer des leeren Hauses begeben werden.«
Es war tatsächlich wie in alten Zeiten, als ich mich zur angegebenen Stunde neben ihm in einem Hansom fand, den Revolver in meiner Tasche und das Prickeln des Abenteuers in meinem Herzen. Holmes war kühl, ernst und stumm. Wenn der Schein der Straßenlaternen auf seine strengen Züge fiel, sah ich, daß seine Brauen gedankenvoll herabgezogen und seine dünnen Lippen verkniffen waren. Ich wußte nicht, was für ein wildes Tier wir im finstern Dschungel des kriminellen London aufspüren würden, doch zeigte mir das Verhalten dieses Meisterjägers deutlich an, daß dies ein höchst bedenkliches Abenteuer war – während das sardonische Grinsen, das gelegentlich seine asketische düstere Miene durchbrach, dem Gegenstand unserer Suche wenig Gutes verhieß.
Ich hatte mir eingebildet, wir führen zur Baker Street, aber Holmes ließ die Droschke an der Ecke Cavendish Square anhalten. Ich beobachtete, daß er beim Aussteigen stark suchend nach rechts und links blickte, und an jeder folgenden Straßenecke gab er sich die äußerste Mühe, sich zu Vergewissern, daß er nicht verfolgt würde. Unser Weg war in der Tat eigenartig. Holmes besaß außerordentliche Kenntnisse der Nebenstraßen Londons, und bei dieser Gelegenheit ging er zügig und gewissen Schritts durch ein Gewirr von Ställen und Stallungen, von deren Vorhandensein ich nicht einmal gewußt hatte. Endlich kamen wir auf einer kleinen Straße heraus, die von alten düsteren Häusern gesäumt war und uns zur Manchester Street und von dort zur Blandford Street führte. Hier
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