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Die Rückkehr (German Edition)

Die Rückkehr (German Edition)

Titel: Die Rückkehr (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Scott Nicholson
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nicht.
    Ihre Kunst erzeugte eine ähnliche Trance, aber obwohl sie zu ein paar der dunkelsten Orte in North Carolina mitgeschleppt worden war, hatte sie bislang niemals auch nur einen verirrten Hauch Zigarettenrauch gesehen. Also kreierte sie Träume und Alpträume, und zitierte dabei Schreckgespenster herbei, die ihre Klassenkameraden in Verzückung geraten ließen, aber ihren Vertrauenslehrer Bradshaw schockierten.
    Doch sogar mit ihrem offensichtlichen Talent kam sie nicht voran. Ihre Kunstlehrer in der High School beurteilten ihr Werk als »Comic-Kritzelei«, und auch wenn die Freaks in den Coffee Shops und die Hollywood-Produzenten nur Bücher lasen, die hauptsächlich aus Bildern bestanden, musste man, wenn man es ernst meinte, Akte, verwelkte Rosen und geometrisch exakte Kopien von europäischen Städten produzieren. Oder die Augen schließen und auf die Leinwand pinkeln à la Pollock.
    Sogar ihr Bleistift war lächerlich, extradick, die Art, die von Kindergärtnerinnen mit Wurstfingern bevorzugt wird. Auch wenn ihre Mutter ihr eine Schachtel davon gegeben hatte, bevor sie sie mit Digger zurückließ – und sieben Milliarden anderen Menschen, die das niemals verstehen würden.
    Danke, Mom. Dieses ganze Verlassenheitsding kommt gut.
    So viel zum Thema »sich in die reale Welt einfügen«. Stattdessen entwickelte sie ein imaginäres milieu für Emily Dee, ihre zeitreisende viktorianische Hauptfigur, die halb Steampunk, halb literarische Heldin war. Das Problem war, dass eine fiktive Figur, die auf Emily Dickinson basierte, nicht in allzu viel handfeste Action verwickelt wurde, es sei denn, Kendra machte Zugeständnisse und ließ einen Vampir auftauchen und die ewige Jungfrau ein wenig Geschlechtsverkehr haben. Und alles, was sie über diese beiden Themen wusste, waren die Geschichten, die sie in Büchern gelesen hatte.
    »Was malst’n du da?«
    Sie brach fast ihre Bleistiftspitze ab, weil die Stimme unerwartet nah an ihrem Ohr erklang.
    Umpf. Versagen des Überlebensmechanismus. Neustart notwendig.
    Kendra blickte von ihrem Skizzenblock hoch in das runde, sommersprossige Gesicht eines etwa elfjährigen Jungen mit pflaumenfarbenen Augen, die tief in den Teig seiner Haut eingesunken waren. Sein roter Haarschopf schien zu groß für seinen Kopf. Ein leicht fischiger Geruch breitete sich in der Luft um ihn herum aus, obwohl sein Atem nach Lakritze roch.
    »Nur irgendwas«, sagte sie, nicht wirklich interessiert an Belästigung durch einen Dreikäsehoch.
    Der Junge glotzte über ihre Schulter, und sein andorngewürztes Schnaufen ließ fast das Joghurt in ihrem Magen gerinnen.
    »Das sieht aus wie die Tür«, sagte er.
    »Bingo, Einstein«, sagte sie.
    »Nur, dass sie unheimlich aussieht. So, als ob sie einen gleich verschlingen würde.«
    »Sie wird dich verschlingen«, sagte sie in ihrem sachlichsten Tonfall.
    Die Türen öffneten sich. Auf dem Glas wogten die Spiegelungen von Wolken und blauem Himmel und ein rundlicher Mann mittleren Alters trat aus der dunklen Empfangshalle. Er war gekleidet wie ein Glöckner bei der Heilsarmee, in einer Uniform, die hoheitlich ausgesehen hätte, wenn da nicht die abgewetzten Ellenbogen und die Falten im Schirm der Dienstmütze gewesen wären. Die rötlichen Wangen deuteten entweder auf eine Loyalität zum Alkohol oder auf eine nordeuropäische Abstammung hin. »Bruce!«, rief er. Nur ein weiterer mürrischer Vater.
    »Muss los«, flüsterte der Junge.
    Kendra nickte, weil sie dem Knirps keine wirkliche Anerkennung durch Worte geben wollte. Sie konzentrierte sich auf ihre Zeichnung und machte den Hotelpagen als schimmernde Variante des Stay Puft Marshmallow-Manns aus »Ghostbusters« sichtbar.
    »Wie oft muss ich dir noch sagen, dass du die Gäste in Ruhe lassen sollst?«, sagte der Marshmallow-Mann, und Kendra stellte sich ein Echo seiner Stimme in einer wogenden Sprechblase vor.
    »Es tut mir leid«, sagte Bruce.
    »Ich werde schon dafür sorgen, dass es dir leid tut.«
    »Ich habe nur–«
    »Nichts nur. Komm jetzt rein.«
    Willkommen in der Wirklichkeit, Bruce. Du hast einen beschissenen Namen und einen idiotischen Vater und du wirst gleich daran erinnert werden, dass Kinder gesehen, aber nicht gehört werden sollen.
    Sie hatte kaum Zeit, die Umrisse des Marshmallow-Manns zu skizzieren, als er schon wieder in die Dunkelheit trat und dabei die Türen in einem Blitz aus Silber und Himmelblau zuschwingen ließ.
    »Sie hat es schon getan«, flüsterte Bruce, als ob er noch neben

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