Die Rueckkehr
es dir übel nehmen, wieder Spaß am Leben zu haben. Schon gar nicht Sam."
Ich spürte einen dicken Kloß in meinem Hals. Meine Augen wurden feucht. Nein, Sam würde es schrecklich finden, wie ich lebte, doch ich konnte nicht, ich konnte doch nicht einfach weitermachen. Ohne ihn. Ohne Xander.
Schnell senkte ich den Blick und fuhr mir mit der Hand über die laufende Nase.
"Versprich mir, dass du mit mir zu Philipps Party gehst, ok?"
Ich zögerte.
"Bitte, Lily." Sie drückte mich kurz an sich.
"Ok." Mehr sagte ich nicht.
Pat hatte mich schon vor über einer halben Stunde in den Feierabend geschickt, doch ich saß noch immer im Hinterzimmer des Cafés und starrte gedankenverloren vor mich hin. Das Display meines Handys leuchtete im schwachen Schein der winzigen Glühbirne, die über meinem Kopf hin.
Vanessa.
Sie wartete auf mich.
Es war kurz nach Mitternacht.
Ich stierte in den kleinen Spiegel, der auf einem wackeligen alten Tisch gegenüber der Tür stand. Große dunkle Augen blickten mir entgegen.
Müde, ich wollte schlafen.
Aber ich hatte es versprochen.
Seufzend griff ich nach meiner Tasche.
"Ich bin raus, Pat!", rief ich.
"Endlich, ich dachte, du gehst nie!", kam es brummend zurück.
Ich lächelte unwillkürlich. Ich wusste, dass Pat es nicht so meinte. Ich hatte ihn wahnsinnig gern. Er war der einzige Mensch, der mich so akzeptierte wie ich war… na ja, zumindest mehr oder weniger. Immerhin stellte Pat nie irgendwelche persönlichen Fragen. Bereits bei unserem ersten Aufeinandertreffen hatte er mir einen langen Vortrag darüber gehalten, dass es nur drei Dinge gab, die er absolut nicht leiden konnte: Unzuverlässigkeit, Schwatzhaftigkeit und Illoyalität. Ich hatte kein Problem damit gehabt, dies zu akzeptieren. Wir arbeiteten zusammen, aber wir ließen uns gegenseitig in Ruhe, meistens jedenfalls. Im Grunde genommen wusste ich so gut wie gar nichts über ihn. Nur dass er das Café schon seit mehr als fünfundzwanzig Jahre führte und mit einer Katze namens Ketchup in der Wohnung direkt darüber lebte. Einen besseren Chef als Pat konnte ich mir nicht wünschen.
Und so trottete ich nun mehr oder weniger motiviert zurück zum Wohnheim, wo Vanessa bereits auf mich wartete.
"Ich wette, du hattest schon vor über einer Stunde Feierabend." Bibbernd schlang sie die Arme um ihren dünnen Körper und sah mich vorwurfsvoll an.
"Vor 45 Minuten", gab ich widerwillig zu.
"Egal, lass uns gehen und Spaß haben." Sie hakte sich bei mir unter und drückte mich aufmunternd.
"Oh ja." Ich zog eine Grimasse. "Ich hab nur leider vergessen, wie das geht."
"Dann lernst du es eben heute Abend wieder. Wir werden was trinken und dann wild tanzen. Komm schon, das wird lustig."
Vanessa hatte sich wirklich verändert. Nicht so wie ich, anders. Noch vor einem Jahr wären ihr solche Partys ein Gräuel gewesen. Seit wir in New York lebten, ging sie viel mehr aus. Sie trug auch längst nicht mehr ihre etwas seltsam anmutenden Klamotten, hinter denen sie sich auf der Parker High immer versteckt hatte. Das schwarze lange Haar hatte sie abgeschnitten und gegen einen kinnlangen Bob eingetauscht, der ihre großen, puppenhaften Augen vorteilhaft betonte und ihr ein fast kindliches Aussehen verpasste. Sie war eine hübsche junge Frau und es wunderte mich fast ein wenig, dass sie immer noch alleine war. Vielleicht lag es an ihrer Art. Ihr Interesse für alles Mystische und Morbide war durch den Vorfall auf der Hudson-Ranch noch einmal verstärkt worden. Die Tatsache, dass Vampire wirklich existierten, faszinierte sie mehr als je zuvor.
"Was war das?" Ich wandte den Kopf und sah mich um.
"Was?" Vanessa war meinem Blick gefolgt, doch alles blieb still. Nur unsere Schritte hallten auf dem verlassenen Steinweg wieder, während wir über den stockdunklen Campus liefen.
Ich war mir sicher, irgendetwas gehört zu haben. Schon wieder. Bildete ich mir das nur ein? Aber nein, da war es schon wieder: Ein Rascheln.
"Vielleicht ein Vogel." Vanessa zuckte gleichgültig die Schultern.
Ich schwieg. Wahrscheinlich hatte sie Recht. Wahrscheinlich wollte ich nur etwas hören. Wie sagte man doch so schön? Die Hoffnung starb schließlich zuletzt.
Als wir um die nächste Ecke bogen, konnte ich das Wohnheim, in dem sich Philipp mit Carl Haglund, einem schwedischen Austauschstudenten, ein Zimmer teilte, bereits hinter den Bäumen erkennen. Der erste Stock war hell erleuchtete und leise Musik drang schon von weitem an meine Ohren. Und noch etwas
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