147 - Hinter der Totenmaske
Er warf
einen ängstlichen, nervösen Blick zurück. Sie waren hinter ihm her! Walter
Hordegen lief um sein Leben. Er rannte so schnell ihn die Beine trugen durch
die engen, holprigen Gassen der südfranzösischen Stadt Aigues-Mortes. Er
keuchte. Schweiß rann über sein Gesicht, die Kleidung klebte an seinem Körper.
Sie durften ihn nicht kriegen! Dann - war er verloren. Für immer... Der Mann
nahm nochmal alle Kräfte zusammen und bog um eine düstere Straßenecke. Die engbrüstigen
Häuser standen dicht beieinander, waren durchweg einige hundert Jahre alt, und
Hordegen hatte das Gefühl, in die Vergangenheit zurückversetzt zu sein. Außer
ihm war weit und breit kein Mensch zu sehen. Die Nacht war kühl und
unfreundlich. Vom Meer her wehte ein scharfer Wind über die hohen, alten
Mauern, die Aigues-Mortes in einem Rechteck umgaben und dieser alten Stadt ihr
besonderes Flair verliehen.
Hordegen
hörte es hinter sich fauchen und schnaufen. Er wagte nicht, den Kopf zu wenden.
Leichter Nieselregen fiel. Das holprige Kopfsteinpflaster schimmerte feucht.
Das Licht einer einzelnen Laterne in der engen Gasse wirkte blaß und
verwaschen, spiegelte sich kaum auf der Straße.
Er hielt
sich im Schatten der Hauswände. Sein Ziel war es, das vordere Ende der Straße
zu erreichen. Dort gab es eine Abzweigung nach drei Seiten, und mit etwas Glück
konnte er dem unheimlichen Verfolger, mit dem er in Aigues-Mortes nicht
gerechnet hätte, vielleicht doch noch entkommen.
Sie wollten
die Maske! Er war zu weit gegangen. Estrella hatte ihn gewarnt. Doch er wollte
es nicht wahrhaben.
Da - eine
Bewegung in dem dunklen Hauseingang direkt neben ihm .. .
Ein
Schatten! Hell glomm die Glut einer Zigarette.
Wie von
einer unsichtbaren Hand festgehalten, blieb Hordegen stehen und fuhr zusammen.
Ohne daß es
ihm bewußt wurde, gab er einen leisen Schrei von sich.
Die Gestalt
aus dem Dunkeln trat einen Schritt nach vorn.
»Na, Kleiner ?« fragte eine dunkelhaarige, gut gewachsene Frau, die
Hordegen auf Anfang Dreißig schätzte. Das lange Haar rahmte ein weißes,
ausdrucksstarkes Gesicht mit sinnlichen Lippen. Die Fremde trug außer einer
schwarzen, lose über dem Nabel verknoteten Bluse und einem hautengen, winzigen
Rock nichts weiter auf der Haut.
Mehr als
Zweidrittel ihrer Schenkel lagen bloß vor Hordegens Augen. »Ich hab’s ja
gewußt«, lächelte sie verführerisch. Ihre roten Lippen öffneten sich, und die
weißen, gleichmäßigen Zähne schimmerten im Dunkeln. Ihre rassige Erscheinung
weckte in Hordegen sofort den Gedanken, daß Zigeunerblut in den Adern der
Fremden floß. Sie bewegte sich katzenhaft, lautlos auf ihn zu. »Wenn man nicht
schlafen kann, soll man ruhig nochmal ’runter vor die Tür
gehen.
Manchmal kommt eben doch noch ein Freier. Auch zu vorgeschrittener Stunde. Um
diese Zeit, Chéri, mach’ ich dir natürlich einen
Sonderpreis ...«
Walter
Hordegen dachte nicht mehr nach, er handelte.
»Versteck’
mich bei dir! Soll dein Schaden nicht sein ...« Während er dies sagte, drängte
er sich schon an ihrem aufreizenden Körper vorbei in den dunklen Hauseingang.
Im Korridor dahinter waren rechts in der Wand zwei Türen zu sehen. Links führte
eine steile Treppe in die Obergeschosse.
»Hey, Chéri ...«, stieß das Freudenmädchen überrascht
hervor. Mit einer solchen Reaktion hatte sie offenbar nicht gerechnet. »Nur
nicht so stürmisch! Ich bin zwar einiges gewöhnt - aber so eilig hatte es noch
keiner .« Sie warf die Zigarettenkippe auf die Straße,
wo die Glut zischend unter den Regentropfen erlosch. »Sind die Flics hinter dir
her? «
»Unsinn«,
zischte Hordegen, zwei Stufen auf einmal nehmend, um in dem langen, düsteren
Korridor zu verschwinden.
»Hast du was
ausgefressen ?«
Sie lief
hinter ihm her. Ihr knapper Rock rutschte dabei in die Höhe, so daß es kaum
noch etwas zu verbergen gab.
Mechanisch
drückte die Frau die klapprige Holztür ins Schloß und schob den Riegel vor.
»Hast du mit einem Krach bekommen ?«
»Nein. Es
ist weder das eine noch das andere«, entgegnete Hordegen aus dem Dunkeln.
Das
Freudenmädchen tauchte vor ihm auf. »Mit gewalttätigen Männern will ich nichts
zu tun haben. Hier in diesem Haus - und darauf bin ich stolz - war noch nie die
Polizei. Mach mir also keinen Ärger !«
»Du kannst
dich darauf verlassen. Es ist nichts ...«
»Wenn nichts
ist - dann frag’ ich mich, weshalb du so gerannt bist? Es ist doch einer hinter
dir her ?«
»Ja -
schon... aber nicht,
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