Die russische Herzogin
Mann stirbt. Hätten Sie ihm bloß nicht erzählt, dass ich komme.«
Ihre Patentante runzelte die Stirn. »Graf Zeppelin starb am Typhus, das hat doch mit dir nichts zu tun.«
»Machen Sie sich nichts daraus, Eure Hoheit«, sagte Dr. Haurowitz eilig. »Die kleine Dame ist nun einmal sehr … originell. Aber sie meint es nicht böse.«
»Was für ein trüber Tag, um Sie hier in Stuttgart in Empfang zu nehmen! Es wird höchste Zeit, dass wir ihm ein wenig Wärme verleihen. Wollen wir nicht endlich hineingehen?«, übernahm die Hofdame das Wort.
In einer freundschaftlichen Geste legte sie einen Arm um Wera, die sich sofort versteifte, woraufhin der Griff der Hofdame noch fester wurde.
»Nachder langen Reise bist du bestimmt hungrig und durstig. Es gibt Schokoladenkuchen und süßen, warmen Kakao!«
Wera blieb nichts anderes übrig, als Evelyn von Massenbach zu folgen. Wenn es sein musste, würde sie halt ein Stück Schokoladenkuchen essen. Oder zwei. Eines für sich und eines für den toten Grafen von Zeppelin. Zur Wiedergutmachung sozusagen. Ihre verkrampften Schultern entspannten sich ein wenig.
Ihre Tante schloss zu ihnen auf und sagte:
»Du bist müde und überreizt von der langen Reise, das ist normal. Deshalb bleiben wir heute entre nous, damit dir noch mehr Aufregung und Neues erspart bleiben. Morgen wirst du dann dem König und der Königin vorgestellt. Und danach habe ich ein paar Spielkameraden für dich eingeladen. Alle können es kaum erwarten, dich kennenzulernen.« Im Gehen legte Olly ihr von der anderen Seite her ebenfalls einen Arm um die Schulter.
Was redete die Tante da? Und warum taten alle so vertraulich mit ihr? Abrupt blieb Wera stehen, wand sich aus der Umklammerung der beiden Frauen.
»Ich brauche keine Spielkameraden. Ich will nach Hause zu meinen Geschwistern!« Bevor jemand etwas tun oder sagen konnte, drehte sie sich um und rannte die Treppe hinab. Ihre Augen rasten wild über den Schlossplatz, doch dann entschied sie sich anders, machte eine scharfe Kehre nach links und verschwand im engen Gewirr der Stuttgarter Straßen.
*
Karls Adjutant Wilhelm von Spitzemberg, Stallmeister von Beroldingen sowie ein halbes Dutzend weitere Bedienstete waren sofort losgestürzt, um das Kind einzufangen.
Händeringend saß Olly im Salon, ihr Blick starr auf den Eingang gerichtet. Wo blieben die Männer nur? Warum war Wera fortgelaufen? Die Vorstellung, wie das Kind orientierungslos durch die Stadt irrte, war zu schrecklich! Olly schluchzte auf.
»Jetzt weine doch nicht. Alles wird gut werden«, murmelte Karl undtätschelte hilflos ihre Hand. »Ehrlich gesagt habe ich mir das alles ein wenig anders vorgestellt. Das Kind selbst habe ich mir anders vorgestellt.«
Ollys Schluchzen hörte schlagartig auf. »Was willst du damit sagen?« Sie funkelte ihn angriffslustig an. Wehe, er wagte es, etwas gegen Wera zu sagen!
Karl hob abwehrend die Hände.
»Ich bin wirklich untröstlich, Eure Hoheit«, sagte Dr. Haurowitz. »Eine solche Aufregung hätte ich Ihnen gern erspart.« Er seufzte. »Allerdings kam diese Szene nicht unerwartet für mich. Genau aus dem Grund habe ich beim Großfürsten so beharrlich auf eine Alternativlösung gepocht.«
»Was soll das heißen? Dass Sie mit Weras Verschwinden gerechnet haben?«, fuhr Evelyn ihn scharf an. »Sie sind ja ein fabelhafter Aufpasser.«
»Eve, bitte. Dr. Haurowitz kann doch nichts dafür. Wahrscheinlich war die kleine Wera einfach überwältigt von unserem Wiedersehen«, sagte Olly. Sie schaute fragend von einem zum anderen. »Aber sie muss doch wissen, dass sie vor uns keine Angst zu haben braucht! Warum läuft sie fort?« Aus dem Augenwinkel heraus entdeckte sie einen Schatten an der Tür.
»Wera, endlich!«
Doch es war nur das Kammermädchen, das auf Karls Geheiß Weinbrand und Gläser brachte.
»Was meinten Sie mit Alternativlösung ?«, sagte Karl und beäugte den Arzt eindringlich. »Sprechen Sie, Mann! Was hat das alles zu bedeuten?«
Der Leibarzt des Großfürsten Konstantin schaute betreten in die Runde, hüstelte verlegen.
»Sind Ihnen die näheren Umstände Weras Reise betreffend tatsächlich nicht bekannt?«
Olly, die gerade ihre Nase putzte, hielt inne. »Welche Umstände?«
»Vielleicht hätten Sie endlich die Freundlichkeit, uns reinen Wein einzuschenken?«, sagte Evelyn.
Miteinem gütigen Lächeln neigte sich der Arzt Olly entgegen. Eine Woge Mundgeruch traf sie, und sie presste ihr Taschentuch fester auf die Nase.
»Dass Sie
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