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Die Saat - Ray, F: Saat

Die Saat - Ray, F: Saat

Titel: Die Saat - Ray, F: Saat Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fran Ray
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vor seiner eigenen Stimme. Doch da ist noch etwas. Die dunklen Seen, die Lachen auf dem sonst grauen Fußboden. Blut, ja, das ist Blut, sein Gehirn funktioniert unendlich langsam, da war Blut auf dem Schutzanzug und auf den Schuhen, erinnert er sich, als sei es Jahre her. Auf einmal wagt er nicht mehr, aufzusehen, sein Blick klebt an den Blutlachen. Menschliches Blut, viel zu viel Blut für ein paar Ratten. Wie viele Milliliter sie haben, weiß er nicht, wieso weißich das nicht, das müsste ich doch wissen! Dann helfen diese Gedankenspiele nicht mehr, seine Augen scannen den Raum und bleiben an einem Gebilde hängen. Wie viele Sekunden starren sie darauf, ohne dass das Gehirn das, was die Augen sehen, zuordnen kann? Dann endlich ist das Muster erkannt, und Nicolas schreit und reißt die Tür auf, rennt durch die hallenden einsamen Flure, hinaus, vorbei am Empfang, stolpert über einen verdreht am Boden liegenden Körper, fängt sich, will die Chipkarte in den Schlitz stecken, damit sich die Ausgangstür öffnet. Verdammt, sie ist im Jackett, wie alles andere auch, Portemonnaie, Schlüssel, Handy. Er muss zurück, zurück in die Hölle. Sein Körper wird steif, doch Nicolas zwingt sich, zurück ins Labor zu laufen, dort reißt er, ohne sich noch einmal umzusehen, den Schrank auf und sein Jackett heraus, läuft wieder zum Ausgang und stürzt durch die sich öffnende Tür hinaus in die kalte Nacht, vorbei an den rauchenden Studenten, von denen einer beobachtet, wie er auf der anderen Straßenseite beinahe mitten in drei Touristenpärchen rast.
    »He, gib acht!«, ruft jemand hinter ihm her.
5
    Mein Gott! Als Inspecteur Irène Lejeune zusammen mit David Hazan vor knapp fünfzehn Minuten vom Commissariat Central in der Rue de la Montagne Sainte-Geneviève losgefahren ist, hat sie noch geglaubt, nach fünfundzwanzig Dienstjahren auf alles gefasst zu sein. Der Anführer der Putzkolonne in den Labors für Biogenetik hat ohne Zittern in der Stimme am Telefon gemeldet, in den Räumen der Universität sei ein Mann hingerichtet worden. Da schon hat sich Irènes Hoffnung auf einen ausnahmsweise ruhigen Wochenenddienst zerschlagen. Auf einen – wenn auch kalten und verregneten – Sonntagnachmittag und -abend mit Roland und den Kindern. Einwenig Normalität. Doch was sie jetzt sieht, übersteigt jede Vorstellung.
    Zuerst sind sie fast über den Wachmann mit der durchschnittenen Kehle gefallen, dann sind sie dem Iraker gefolgt, doch als Lejeune das Labor 1378 betreten hat, musste sie am Türrahmen Halt suchen, weil Schwindel und heftige Übelkeit sie überfielen. Nimm dich zusammen, oder willst du hier vor allen kotzen?
    Seit Jahren ist sie an den Anblick von unterschiedlichsten Leichen in den unterschiedlichsten Verwesungsstadien gewöhnt, sogar an ihren Geruch, auch wenn er für sie immer noch grauenvoll ist und sie danach mindestens drei Tage lang Fleisch weder zubereiten noch essen kann. Sie war sicher, dass sie auch diesen Anblick einfach wegstecken könnte, aber sie hat sich geirrt. Hingerichtet. Dieser Ausdruck ist absolut korrekt für das, was sie jetzt sieht. David stürzt auf den Flur, sie hört, wie er sich übergibt. Sie hätte ihm einen verächtlichen Blick zuwerfen können, auch Maurice, der Fotograf, sonst immer angriffslustig, hätte ihn ein Weichei nennen und Paul, der Gerichtsmediziner, hätte ihn mit einem Kopfschütteln bedenken können, doch keiner von ihnen reagiert, alle sind damit beschäftigt, nicht selbst die Kontrolle zu verlieren.
    Sie reißt sich zusammen, will nicht zulassen, dass das Böse sie in die Knie zwingt, steckt die Hände in die Taschen ihres kurzen Trenchcoats, ballt sie zu Fäusten, kämpft an gegen die eiskalten Schauer, als sie dem Grauen ins Gesicht blickt.
    Was siehst du? Sie ist die Kommissarin, sie hat diesen Fall nun zu lösen. Sie greift zur Routine, scannt den Raum. Tu, was du gelernt hast. Los!
    An die Wand links vom Fenster, vor dem die Rollos heruntergelassen sind, ist ein menschlicher Körper festgeschraubt worden. Er ist bekleidet mit Jeans und weißem Kittel. Metallbänder führen über Brust und Unterleib. Die Arme sind zur Seite gestreckt, ein Gekreuzigter. Etwas in Lejeune weigert sich,auch den Rest zu betrachten. Das Entsetzen treibt ihr kalten Schweiß aus allen Poren. Nein, so etwas hat sie noch nie gesehen.
    Der Kopf fehlt. Auf dem blutigen Querschnitt durch den Hals sitzt stattdessen der Kopf einer weißen Ratte. Aus toten roten Rattenaugen starrt ihr der Horror

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